GESCHICHTE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MAI/JUNI 2017
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Friedliche Stille vermittelt er
heute: der Col di Lana in den
Dolomiten (Provinz Belluno),
eingebettet zwischen den
schroffen Dolomitenmassiven
und einer grandiosen Aussicht
auf die Berge des umliegenden
Weltnaturerbes. Der Hüttenwirt
im Rifugio Pralongiá, hoch
über Alta Badia, empfiehlt
seinen Gästen oft den „Berg zu
gehen“, der wie ein Vulkan-
kegel wirkt und 2.462 Meter
hoch ist. Der Col di Lana sei
etwas ganz Besonderes. An
seinem Fuß liegen saftige Wie-
sen, darüber thront der Gipfel,
schroff und dunkel. Bereits
von Weitem fallen einem tiefe
Furchen entlang des Weges zum
Gipfel des Cima Sief auf. So
mancher könnte sich denken,
dass hier der Regen seine Spu-
ren als tiefe Rinnen hinterließ.
„prima guerra
mondiale“
Eine Informationstafel löst
mit den Worten „prima guerra
mondiale“ das Rätsel. Man be-
findet sich am Col di Lana in-
mitten eines der heiß um-
kämpftesten Gebiete des Ersten
Weltkrieges, in dem sich öster-
reichisch-ungarische und italie-
nische Truppen einen blutigen
Stellungskampf lieferten. So
mancher glaubt, die grauen-
hafte Energie, die sich damals
hier entlud, noch spüren zu
können, auch die furchtbaren
Qualen, die die Soldaten hier
erlebten – auf dem „Col di san-
gue“ (Blutberg), den die Italie-
ner so nannten. „Die Kämpfe
auf dem Col di Lana hatten eine
unglaubliche Heftigkeit und
Intensität“, berichtet Vizeleut-
nant Gottfried Kalser, ein ver-
dienter Unteroffizier des Jäger-
bataillons 24. Und man legte
bei der Verteidigung der Front
auf dem Monte Piano eine
enorme Hartnäckigkeit an den
Tag. „So erging etwa im Feber
1916 folgender Befehl an die
Tiroler Kaiserjäger: ,Weiße Ta-
schentücher sind verboten, da
sie im Gefecht leicht zu Miss-
verständnissen führen. Sie sind
abzugeben und bei den Wirt-
schaftsstellen in Gefärbte ein-
zutauschen.‘“
Archaisches Ringen
Was sich hier in den Dolomi-
ten abspielte, muss ein archai-
sches Ringen gewesen sein –
ein Kampf mit dem Gegner und
mit den massiven Naturgewal-
ten gleichermaßen. Temperatu-
ren bis minus 40 Grad konnten
das Blut tatsächlich gefrieren
lassen. Schwere Stürme und
mächtige Gewitter lähmten oft
alle Sinne. Eine riesige Heraus-
forderung war auch die enorme
Lawinengefahr. „Allein im
März 1916 verzeichneten die
Italiener 397 Lawinentote. Wei-
tere 78 Soldaten wurden durch
Lawinen schwer verletzt. 63
vermisste man unter den Lawi-
nen.“ Auf beiden Seiten kämpf-
ten nicht nur Soldaten, die sich
im Gebirge auskannten, mit den
Widrigkeiten und den Unbere-
chenbarkeiten. Wege und
Steige mussten erst angelegt
werden. Die Italiener errichte-
ten ihre „Himmelsleiter“ – eine
Steiganlage mit Strickleitern.
So konnten nun auf 3.000 Me-
tern Länge über 700 Höhenme-
ter überwunden werden – von
Der Col di Lana, ein
Berg nahe Cortina
d‘Ampezzo, war eines
der fürchterlichsten
Schlachtfelder der
Südwestfront von
1915 bis Herbst 1917.
Der Tod war einem
fast sicher.
Blick auf den gesprengten Col di Lana, 1917.
Fotograf: Anton Trixl; Sammlung Werkmeister Anton Trixl – TAP
Der Col di Lana mit
Kavernen, vor der
Sprengung April 1916.
Fotograf: Unbekannt;
Sammlung Hermann von
Mersi – TAP
Dolomitenkrieg-Experte Vize-
leutnant Gottfried Kalser aus
Osttirol.
Ein brutales Gemetzel in