INTERVIEW
PUSTERTALER VOLLTREFFER
FEBER/MÄRZ 2016
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arten waren vor Ihrer Studie
in Süd-, Nord- und Osttirol be-
kannt?
Huemer:
„In Südtirol an die
3.150, in Nordtirol 2.623 und in
Osttirol 2.139.“
Warum wurden die Schmet-
terlingsarten bislang noch nie
genetisch erfasst?
Huemer:
Die ‚einfache‘ und
kostengünstige Methode des
DNA-Barcodes (ähnlich dem
Strichcode im Supermarkt) zur
Erfassung von Arten existiert
erst seit wenigen Jahren und
wurde in Österreich von dem
Tiroler Landesmuseen ab Ende
2010 erstmals verwendet. Der
wesentliche Vorteil ist, dass
derselbe genetische Abschnitt
für alle Tiere angewendet wer-
den kann und über eine globale
Datenbank ein Vergleich mit
bereits über fünf Millionen
Genproben möglich ist.“
Zu den 100 Erstfunden –
wie viele waren es in Süd-,
Nord- und Osttirol?
Huemer:
„77 in Südtirol, in
Nordtirol waren es 41 und in
Osttirol zwei.“
Warum kann die Forschung
eigentlich „nur“ 96 % aller er-
hobenen Arten genetisch zwei-
felsfrei unterscheiden?
Huemer:
„Die Methode des
DNA-Barcodings scheitert in
vereinzelten Fällen auf Grund
unterschiedlicher Faktoren, z.
B. bei ganz jungen Arten, die
sich erst nach der letzten Eiszeit
entwickelt haben und sich im
untersuchten Genabschnitt aus
Mangel an Mutationen noch
nicht unterscheiden. Auch der
gelegentliche Genfluss zwi-
schen nächst Verwandten Arten
kann ein Problem bei der Un-
terscheidung sein.“
Wie kam es wiederum dazu,
dass sich 70 Schmetterlingsar-
ten diesseits und jenseits des
Brenners äußerlich zwar
kaum, genetisch dafür umso
auffallender voneinander un-
terscheiden?
Huemer:
„Die wahrscheinli-
chen Ursachen sind lange eis-
zeitliche Trennungen von Po-
pulationen nördlich und südlich
der Alpen, die nach dem Ab-
schmelzen des Eisschildes wie-
der in die Alpen eingewandert
sind. Bei etlichen dieser Arten
vermuten wir auf Grund der
großen genetischen Distanzen
eine bereits erfolgte Auftren-
nung in zwei Arten, also jeweils
eine in Süd- und Osttirol bzw.
die Schwesterart in Nordtirol.
Das wird jetzt alles aufwändig
mittels verschiedener weitere
Methoden geprüft.“
Welche
Schmetterlinge
waren in Südtirol und Osttirol
noch ohne Namen? Und wel-
che Namen tragen Sie jetzt?
Huemer:
„In Südtirol etwa
‚Eulamprotes baldizzonei‘ oder
‚Agonopterix medelichensis‘
oder Scopolis Langhornfalter
‚Nemophora scopolii‘; der in
allen Landesteilen gefunden
wurde. Diese Art wurde bei-
spielsweise 200 Jahre fehlbe-
stimmt und erst im Vorjahr als
weltweit neu erkannt und be-
schrieben.“
Welche zwei Falterarten
waren bislang in ganz Mittel-
europa unbekannt?
Huemer:
„Elachista deri-
venta“ und „Chrysoclista ga-
bretica“.
Gibt es generell immer we-
niger Schmetterlinge in Südti-
rol und Osttirol?
Huemer:
„Rote Listen ge-
fährdeter Tiere zeichnen ein
düsteres Bild, zwar existiert in
Tirol keine oder nur völlig ver-
altete Fassungen, man muss je-
doch von einemAnteil von etwa
40% gefährdeter Arten ausge-
hen. Generell gilt: Die Situation
in den Tallagen ist in ganz Tirol
besorgniserregend, vor allem
durch intensive Landwirtschaft
(einschließlich Spritzmittelein-
satz – besonders Südtirols Obst-
anbaugebiete) und generell den
enormen
Flächenverbrauch
(Verbauung, Infrastruktur – hier
auch Lichtverschmutzung als
besonders kritischer Punkt für
Nachtfalter). Weitere wichtige
Gefährdungsfaktoren sind der
überregionale Eintrag von Luft-
schadstoffen,
insbesondere
Stickstoff), der zu einer Über-
düngung wertvoller Magerwie-
sen führt, oder auch die Klima-
erwärmung.“
Wie könnte man „auf die
Schnelle“ ein wenig dagegen-
wirken?
Huemer:
„Schon etwas weni-
ger Pedanterie würde den Faltern
helfen, z. B. Wegränder nicht
komplett mähen, naturnahe Stel-
len im Garten ohne englischen
Rasen. Wahre Falterparadiese
finden sich vor allem noch in
Gebirgslagen, so z. B. Virgental/
Sajatmähder und generell viele
nicht zu stark beweidete Flächen
in den Hohen Tauern, aber auch
Teile der Dolomiten (auch hier
fallweise starke Gefährdungsfak-
toren z. B. Überdüngung der
Seiser Alm), NP Stilfser Joch
oder das oberste Vinschgau (ohne
intensiven Obstanbau).“
Interview: Martina Holzer
Der Wickler Grapholita gemmiferana wurde erstmals für Osttirol
nachgewiesen.
Foto: TLM/P. Buchner
Der Schwarze Apollo (Parnassius mnemosyne) fliegt in Tirol in
zwei unterschiedlichen genetischen Linien, die jedoch im Gegen-
satz zu 70 anderen Arten nicht durch den Brenner getrennt sind,
sondern in den östlichen bzw. westlichen Landesteilen fliegen.
Foto: TLM/P. Buchner
Gleich zwei Neufunde aus Südtirol gehören zur Familie der Trug-
falter, eine ursprüngliche Schmetterlingsgruppe ohne Rüssel, je-
doch mit prächtigen metallisch schimmernden Schuppen.
Für Laien kaum als Schmetterling zu erkennen ist dieser exotisch
anmutende Vertreter der Blatttütenfalter, ein im Raupenstadium auf
Feldahorn lebender Neufund für Südtirol. Foto: TLM/P. Buchner