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falls ich Hilfe brauche.“ Ein

brennendes Grab – was andern-

orts höchstens die Totenruhe

stört, kann hier zur großen Ka-

tastrophe führen. Denn Obertil-

liach wird auch „Das hölzerne

Dorf“ genannt. Die Angst vor

dem Feuer sitzt hier tief. Ein

altes Trauma in dem Haufen-

dorf, das schon viele Brände er-

lebte und alle überstand.

Schutz vor Räuberbanden

„Die Häuser wurden so dicht

aneinander gebaut, damit die

Bewohner feindliche Angreifer

besser abwehren konnten“,

kennt Helmut die Geschichte.

„Denn die Bajuwaren, die um

600 nach Christus die einstige

Pferdealm besiedelten, mussten

sich lange Zeit gegen venezia-

nische Räuberbanden verteidi-

gen. Italien ist nur sieben Kilo-

meter Luftlinie entfernt.“ So

findet seit Jahrhunderten am

Sonntag um 4 Uhr eine Messe

statt, bei der die Bewohner um

Bewahrung vor der Feuers-

brunst bitten. Und Egartner

nimmt seine Arbeit auch ernst.

Auf seinemWeg kontrolliert er

akribisch verwinkelte Gäss-

chen, geht zu Brennholzsta-

peln, die hinter Gehöften auf-

geschichtet sind, und wirft

einen Blick auf hölzerne Ver-

schläge. Vorbei geht‘s auch bei

Urige Holzhäuser dicht anei-

nander gereiht, sodass sich die

Dächer fast berühren – so prä-

sentiert sich Obertilliach nach

wie vor. Mittlerweile überzieht

auch eine weiße Schneedecke

das Osttiroler Dorf. Nachts

sind die Gassen und Wege fast

menschenleer und nur spärlich

erleuchtet von dem Schein, der

aus den Fenstern der Stuben ins

Freie dringt. Als wäre die Zeit

im Mittelalter stehen geblieben.

Zu der besonderen Atmosphäre,

die der 800-Seelen-Ort auf

1.450 Meter Seehöhe ausstrahlt,

trägt auch eine Person bei, die

mit breitkrempigem Hut, Helle-

barde und schwarzem Loden-

„erbte“, schützte ihn in jener

Nacht nicht nur vor Kälte. „Ich

hab‘ ihn ausgezogen und damit

die Flammen erstickt“, berich-

tet der einstige Lastwagenfah-

rer. Alarmiert hat er niemanden.

„Ich hab‘ es ja selbst ge-

schafft.“ Unter seinem Mantel

zieht er ein Mobiltelefon her-

vor. „Damit schlage ich Alarm,

einer Häusergruppe, die zum

Oberdorf gehört und äußerst

eng beieinander steht. „Hier

wäre ein Feuer verheerend“,

betont der Tillger.

Wenn es finster wird in

Obertilliach, zieht

Helmut Egartner wie

seit vielen Jahren mit

Hellebarde und Laterne

seine Runden durch

Obertilliach. Der letzte

Nachtwächter des

Landes achtet darauf,

dass keine Feuers-

brunst ausbricht. Doch

langsam denkt der 68-

Jährige daran seinen

Dienst abzugeben.

PORTRAIT

PUSTERTALER VOLLTREFFER

JÄNNER/FEBER 2017

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Auf sein „Denkmal“ ist Helmut Egartner sichtlich stolz.

mantel, nach Einbruch der Dun-

kelheit durch das Dorf streift:

der Einheimische Helmut

Egartner.

„Gebt fleißig acht“

„Losst’s ihr Herrn und Bauern

eich sogn, der Hammer auf’r

Uhr hat zehne g’schlagen. Gebt

fleißig acht, auf Feuer und Li-

acht, dass eich Gott und de liabe

Frau behüat“, wiederholt der bo-

denständige Tillger auf seinem

Weg im Sprechgesang immer

wieder. Bis zu 21 Mal pro

Runde. Helmut ist der letzte ak-

tive Nachtwächter des Landes.

Obwohl den 68-Jährigen gerne

Touristen und Kinder auf seinem

Weg durchs Dorf begleiten, ist

sein Amt wesentlich mehr als

nur eine Attraktion für Urlauber.

Mit Mantel gelöscht

„Einmal hat das Reisig auf

einem Grab zu Silvester zu

brennen begonnen“, erzählt

Helmut, beim Eingang des

Ortsfriedhofes stehend, neben

der Kirche. Der Lodenmantel,

den er von seinem Vorgänger

Denkt langsam ans Aufhören

Bei seinen nächtlichen Touren, die Nachtwächter Helmut Egartner seit 16 Jahren dreht, begleiten

in auch immer wieder gerne Kinder.

Fotos. Martina Holzer