ZEITZEUGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
DEZEMBER 2016/JÄNNER 2017
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Der Vater vom „Urschele“,
Josef Blasisker, musste schon im
Jahr 1939 einrücken. Eine Vor-
stellung von ihrem Vater zu ge-
winnen, war somit nicht leicht
für sie. 1942 starb dann auch
noch ihre Mutter Ursula Gabriela
Blasisker, geb. Feldner, während
einer Kropfoperation. Damals
war das „Urschele“ gerade ein-
mal vier Jahre alt. Fortan lebte
sie allein mit der alten Nanne
(Schwester von Vaters Ziehvater)
auf dem Klampererhof (gleich
neben der Durchzugsstraße).
„Immer wieder kümmerte sich
auch Tante Meudile um mich,
wenn sie daheim abkömmlich
war.“ Die beiden jüngeren Ge-
schwister Anna und Josef lebten
seit dem Tod der Mutter bei ihrer
Taufpatin. „Aber wenn Meudile
da war, dann waren wir alle auf
dem Klampererhof zusammen
und im Sommer ohnehin bei Ver-
wandten auf der Alm.“
Abschied für immer?
Auf dem Klampererhof gab es
eine Kuh, ein Schwein und den
steilsten Kartoffelacker des gan-
zen Defereggentales. „Boshafte
Leute fragten, ob wir die Erdäp-
fel mit der Steinschleuder set-
zen“, erinnert sich Ursula noch
heute. Auch daran, dass sich am
Sonntag nach dem Hochamt
immer wieder ein junger Mann
verabschiedete, der die Einberu-
fung bekommen hatte. „Auf dem
Dorfplatz gab er Freunden,
Nachbarn und entfernter leben-
den Verwandten die Hand, ein
Brauch, der in Hopfgarten sonst
nicht üblich war. Und alle hofften
und beteten, dass sie ihn nicht
zum letzten Mal gesehen hatten.“
Allein nach Lienz
Einige Male wurde das
kleine „Urschele“ mit Lebens-
mitteln für die Großmutter
Anna Blasisker allein im Post-
auto nach Lienz geschickt.
„Die Großmutter wohnte da-
mals in der Kreuzgasse. Ich
ging ja noch nicht einmal in die
Schule und hatte Angst, mich in
der Stadt nicht zurechtzufinden.
Aber es hieß, die Leute sprä-
chen alle Deutsch, ich solle nur
nach dem Weg fragen. Immer
noch schön und sehr eitel,
wollte die Großmutter aber
nicht, dass man ihre Not sah
und war ziemlich unfreund-
lich.“ Unten an ihren Fenstern
lagen längliche mit Moos ge-
füllte Pölster, damit es in dem
ohnehin schon eiskalten Raum
nicht so zog. „Zum Glück gab
es nie Fliegeralarm, und ich
konnte zu Mittag wieder heim-
fahren.“
Schulstart im Krieg
Am 15. September 1944 be-
gann für das „Urschele“ und 19
andere Kinder aus Hopfgarten
sowie zwei oder drei Flücht-
lingskinder aus den zerbombten
Städten Deutschlands die
Schule. „Einige von uns Schul-
anfängern hatten schon viel Leid
erfahren müssen. Mütter waren
bereits gestorben und Väter im
Krieg gefallen.“ Das „Urschele“
hatte schon lange sehnsüchtig
auf den Schulbeginn gewartet
und war nun selig. „Mit vielen
Kindern reden und lachen kön-
nen und viel Neues lernen. Und
einen halben Tag nicht arbeiten
müssen – nicht auszudenken“, so
die heute 78-Jährige. Auf dem
Schulweg bewunderte Ursula
die gleichaltrigen Mädchen, die
zum Schulbeginn ein neues
Dirndlkleid erhalten hatten. „Es
war rot und blau kariert. Aber die
Qualität des Stoffes war schlecht
wie fast alles, was während des
Krieges erzeugt wurde.“
Die Flüchtlingskinder
schrien und weinten
Einige Schüler riefen laut
„Heil Hitler!“ und streckten
dabei ihren rechten Arm aus,
wenn sie in die Klasse kamen.
„Lehrer Ferdinand Blaßnig
,murfelte‘ etwas dazu und gab
sich im Übrigen beschäftigt. Er
hatte genug von Hitler und vom
Krieg. Denn seine zwei älteren
Söhne waren gefallen.“ In Hopf-
Ursula Wurm erlebte
den Zweiten Weltkrieg
als Kind in Hopfgarten
i. D. Sie wuchs auf dem
„Klamperer Hof“ auf.
Der Vater war einge-
rückt, die Mutter starb
während des Krieges
bei einer Operation. In
ihrem neuen Buch
„Volksschulzeit im De-
fereggen. Kriegs- und
Nachkriegszeit“ blickt
sie auf Erlebnisse und
Geschehnisse zurück,
die in ganz Osttirol zum
Alltag gehörten.
„Urschele“ (r.) mit ihren jüngeren Geschwistern Anna und Josef sowie der alten Nanne (l.) und Tante
Meudile.
Auf dem Klampererhof in Hopfgarten wuchs Ursula Wurm auf.
Autorin Ursula Wurm.
Ohne Eltern durch den Krieg