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INTERVIEW

PUSTERTALER VOLLTREFFER

MAI/JUNI 2016

10

Herr Pizzinini, woher stam-

men die tagebuchartigen Auf-

zeichnungen?

Pizzinini

: „Aus dem Nachlass

von Anton Auer selbst. Durch

diese Aufzeichnungen wird das

Leben eines Landschullehrers in

einer – aus damaliger Sicht – ab-

gelegenen Region Tirols leben-

dig. Es entsteht ein kulturge-

schichtlich interessantes Zeit-

bild, und es wächst das

Verständnis für die schwierige,

manchmal geradezu verzwei-

felte Situation eines jungen, eif-

rigen Lehrers in einer abgelege-

nen, nur von Bauern bewohnten

Gegend hoch oben am Berg.“

halb Stunden. Das Ortszentrum

von Penzendorf auf 1.202 m.

Rechtzeitig vor Schulstart begab

er sich auf die Fahrt nach Ost-

Das klingt sehr betrübt.

Pizzinini:

„Ja. In der Zeit des

Faschismus war es eigentlich

nicht möglich, den Bezirk Lienz

Wie gestalteten sich damals

die verkehrsmäßigen Bedin-

gungen?

Pizzinini:

„Die Orte waren

mehr oder weniger nur zu Fuß

zu erreichen. Bannberg (1.268

m) erreichte Auer vom Bahnhof

Thal (814 m) aus in rund einein-

tirol. Er beschrieb seine Abfahrt

von Telfs: ,Abschied von Mutter:

herzlich wie immer, nur viel be-

sorgter als sonst, weil ich so weit

weg muß!! Ich mache nur gute

Miene zum bösen Spiel obwohl

mir selbst nicht leicht ums Herz

ist.‘

über Südtirol zu erreichen, son-

dern nur ,über die Tauern‘. Auer

war es in diesem Fall aber mög-

lich, mit dem Zug über den Bren-

ner und das Pustertal nach Lienz

zu fahren. Er schrieb: ‚Ich denke

heim und fahre durch Osttirol.

Lienz. Meine Endstation! Mein

fand sich die Lehrerwohnung,

bestehend aus vier großen Zim-

mern, Küche und Speisekammer.

Die Räume aber standen alle leer

und nun fühlte Auer – wie noch

öfters – die große Einsamkeit,

unter der er auf dem abgelege-

nen Bauerndorf litt. Bald schon

wurden ihm die Mitglieder des

Gemeinderates vorgestellt, letzt-

lich Ausdruck dafür, dass der

Lehrer als Respektsperson ange-

sehen wurde. Aus mehreren Ge-

sprächen ging hervor, dass man

vom Lehrer ein nicht geringes

Maß an Religiosität erwartete.

Sein Kommentar im Tagebuch:

‚Na, na, liebe Leute, ich werde

schon ‚religiös‘ sein!!’“

Wie war der Schulbeginn?

Pizzinini:

„Darüber schrieb er

nichts. Die Weihnachtsferien

verbrachte Anton Auer daheim

in Telfs. Doch am 3. Jänner 1932

ging es wieder zurück: ‚Abreise

ins Exil! Mit einer stumpf wü-

tenden inneren Ergebenheit.’

Auers allgemeine Aufgeschlos-

senheit und seine freizügige

Denkweise passten nicht in die

Engstirnigkeit der bäuerlichen

Welt zur damaligen Zeit. Für die

Lehrer Anton Auer

(1908-1971) aus Telfs

„musste“ einst auch in

den abgelegenen Bau-

erndörfern Bannberg

(1931/32) und Penzen-

dorf (1932/33) unter-

richten. Für ihn mehr

Qual als Wahl – dies

geht aus seinen tage-

buchartigen Aufzeich-

nungen hervor. Histori-

ker Meinrad Pizzinini im

„PVT“-Interview.

Por-

trait

Anton

Auer,

Rötel-

zeich-

nung

von

An-

dreas

Ein-

berger,

420 x

300

mm,

mono-

gram-

miert

re. u.

A. E.,

vor

1940.

Bilder

im

Besitz

von

Hubert

Auer,

Telfs.

[!] Koffer schleppe ich bis z(um)

Cafe Bergmann u(nd) logiere

mich dort ein.‘ Um 4 Uhr nach-

mittags am nächsten Tag ging der

Zug von Lienz ab nach Thal, wo

Auer zu Fuß den Weg nach Bann-

berg hinauf antreten musste.“

Wurde die Stimmung dann

besser?

Pizzinini

: „Ein zwiespältiges

Gefühl ist in seinen Aufzeich-

nungen spürbar: ‚Nun geht es

nach Bannberg!! Heil mir! Nun

schöne Welt ade!! ... Thal: Ein

Bahnhof, sonst nichts zu sehn.

Doch hoch oben thront an stei-

lem Hang Bannb(er)g, von der

Abendsonne beschienen! – Ein

kleines schmuckes Kirchlein,

ringsum die Höfe, unten Stein-

bau, oben warmes braungetöntes

Holz. Wirklich ein sehr maleri-

scher Anblick! – Aber ich

schaute nur und schritt, und

konnte meine Gefühle nicht

recht beurteilen. Es war so ein

merkwürdiges Durcheinander,

Zwiespalt, Hoffnung, Hader,

Mutlosigkeit u(nd) Glaube!!’“

Dass die Uhren in Bannberg

anders ticken, hat er gleich be-

merkt?

Pizzinini:

„Spätestens als es

dunkel wurde. Denn da stellte

sich heraus, dass es im ganzen

Dorf noch keinen Strom gab. Im

ersten Stock des Schulhauses be-

Unglücklich in den abgelegene

Die Volksschule Bannberg, 1923 errichtet und 1987 erneuert, war die erste Station von Anton Auer

als Lehrer.

Foto: Meinrad Pizzinini