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VERGANGENHEIT

PUSTERTALER VOLLTREFFER

APRIL/MAI 2016

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ten mit den Fingern auf alles und

fotografierten wie wild. Die Ge-

ranien und Pelargonien auf dem

Söller zum Beispiel, die wirklich

weitum die schönsten waren. Ein

beliebtes Motiv war auch der

Naglstock, das Nelkenfass, das

im Dunstkreis des Labls die

prächtigsten Blüten trieb. Die

Deutschen lachten über das

Plumpsklo mit der seltsamen

Aufschrift „Sanft schliesen“. Sie

fotografierten uns Kinder,

manchmal auch ungefragt, was

uns natürlich sehr ärgerte. Allein

die Vorstellung, in Deutschland

von wildfremden Menschen be-

gafft zu werden. Waren wir denn

exotische Tiere oder ein noch

unentdeckter Indianerstamm?

Einmal haben sie uns sogar

beim Laabm der Eschen fotogra-

fiert und fragten uns allen Ern-

stes, ob wir denn da Tee pflücken

würden. Sie hatten keine Ah-

nung, warum wir das Laub von

den Eschreisern zupften, welche

Vater heruntergehackt hatte. Sie

wollten lange nicht verstehen,

dass der angebliche Tee nur

Viehfutter sein sollte.

Oft rumpelten die Fremden in

einemVW Käfer auf der damals

noch ungeteerten, schmalen

Straße daher, eine Staubwolke

hinter sich herziehend. Seltener

kam ein Mercedes oder ein

Opel. Einmal durfte ich mit

einer älteren Dame in einem

VW Käfer mitfahren. Dieses Er-

lebnis ist mir bis heute unver-

gesslich geblieben. Ich kann

mich noch genau an das Rum-

peln und Schaukeln des Autos

und an den komischen Geruch

des Parfüms der alten Dame er-

innern. 4711, Kölnischwasser,

wie ich heute weiß. Diese

freundliche Dame hat uns auch

fotografiert, mich und drei Ge-

schwister. Sie versprach uns, das

Foto zu schicken, was sie dann

auch wirklich tat. Eines Tages

kam per Brief das Bild, worauf

allerdings nur zwei meiner Ge-

schwister neben unserem Back-

ofen zu sehen waren sowie ein

Ärmel des Dritten. Die anderen

zwei Geschwister hatte die

Dame wohl in der Aufregung

abgeschnitten. Im Brief schrieb

sie, ich kann mich noch genau

erinnern: „Tut mir leid, dass nur

zwei von euch drauf sind, aber

der Backofen ist ja auch schön.“

Wir haben sehr gelacht, damals.

Kurzum, mit den Fremden

brach also eine neue Zeit an.

Vater stellte sich, wie immer,

kümpfe,

Wurzelmännchen,

furchterregende Fasnachtsmas-

ken mit Kuhhörnern, Sonnen,

aber auch grobe Krippenfiguren

und Figuren von Bauern bei der

Arbeit. Ach ja, sogar an das

Schnitzen von Schachfiguren

wagte er sich heran. Vaters

schönste Schachfiguren waren

die Bauern. Bauern mit Hut und

Stock, mit Rückenkorb oder

Rucksack, Sämänner, Bauern

beim Mähen, stehende Bauern,

schreitende Bauern. So weit, so

gut. Aber ganz außen – nun

kommt es – hockten zwei Bauern

mit heruntergelassenen Hosen

und einem gehörigen Würstchen

am Hintern. Die „Scheißer“, wie

sie Mutter nannte. Ich sehe noch

heute ihr Lachen im Gesicht und

Vaters Schalk in seinen Augen.

Auch die Touristen, welche

diese Figuren begutachteten,

schmunzelten und lachten über

Vaters Ideenreichtum. Er hatte

also erheblichen Erfolg mit sei-

nen unkonventionellen Schnit-

zereien, wohl auch, weil die Sa-

chen, zumindest am Anfang,

spottbillig waren. Zudem

machte er auch tüchtig Wer-

bung für seine Produkte. Bald

zeigte ein Schild mit der einge-

kerbten Inschrift „Holzschnit-

zer“ in unsere Stube. So kam

Geld ins Haus, wenig am An-

fang, aber dennoch. Wir konn-

ten uns nun etwas leisten.

Das Angebot in ihrem Laden

hatte die Ochna-Haus-Nanne

inzwischen beträchtlich erwei-

tert. Es gab nun Struuzn, also

Weißbrot, Schokoladencreme,

Minznbreatlan, also Pfeffer-

minzbonbons, italienische Mor-

tadella, Schweizer Käse, Sardi-

nen in Dosen, Pfirsiche, Trauben

und die ersten Tomaten zu kau-

fen. Diese schmeckten damals

noch nach Sonne und Süden und

kamen nicht aus holländischen

Gewächshäusern wie heute. Sie

schmeckten amAnfang sehr un-

gewohnt und komisch. Mit der

Zeit habe ich sie geliebt.

Robert, Anton und Klaus

nahmen sich ein Vorbild an

Vater und begannen ebenfalls

zu schnitzen. Kleine Dinge,

Maipfeifen und Hähnchen aus

Eschenholz, Eichhörnchen und

Igel, auf deren Körper sie die

mühsam abgezupften Dornen

der Heckenrose leimten. Damit

Ein Fest für die beste MAMA der Welt!

8. Mai

MUTTERTAG

MO bis FR 9.00 - 18.00 Uhr

SA 9.00 - 17.00 Uhr

124657

besonders schnell auf die „mo-

dernen“ Zeiten ein. Mit den

Fremden hieß es, kommt das

Geld in das Dorf, in die Wirts-

häuser und in die Läden.

Ein Nachbar, der Motzile-

bauer, welcher zwölf Kinder er-

nähren musste und bitterarm

war, war auf die Idee gekom-

men, Fasnachtsmasken und Wur-

zelmännchen zu schnitzen. Die

Fremden hatten ihn immer wie-

der gefragt, ob denn der heilige

Florian, welcher in einer Mauer-

nische des Hofes stand und ihn

vor Brandgefahr beschützen

sollte, zu verkaufen sei. Den hat

er natürlich nicht verkauft, son-

dern er hat einen neuen ge-

schnitzt und den dann verkauft.

Vater, welcher, wie Anna

schon erzählt hat, mit einer

künstlerischen Ader ausgestattet

und mit viel Fantasie gesegnet

war, begann auch zu schnitzen.

Er fing mit kleinen Sachen an,

aber mit der Zeit wurde sein Re-

pertoire immer größer. Aus Zir-

belholz schnitzte er Wetzstein-

here Ahrntal

Die

Familie

Steger

1959,

das

Baby ist

Konrad,

der

Fünfte

„flog

noch mit

den

Mü-

cken“,

also war

noch

nicht

geboren.