VERGANGENHEIT
4
PUSTERTALER VOLLTREFFER
APRIL/MAI 2016
Die humorvolle Kurzge-
schichte „Hearischa und Anti-
quitätenhändler“ aus dem Buch
von Konrad Steger:
Hearischa und
Antiquitätenhändler
In den 1960er-Jahren kamen
die ersten Touristen in unser
Dorf. Wir nannten sie Heari-
scha, „Herrschaften“, oder
Fremma, die Fremden. Italieni-
sche Gäste kamen damals noch
nicht, denn die 1960er- und
1970er-Jahre waren die Zeit der
Sprengstoffanschläge in Südti-
rol. Die Anschläge der Pustra
Buibm machten Schlagzeilen,
und da ist es zu verstehen, dass
italienische Touristen das Land
und unser Tal mieden.
Hearischa, also Herrschaften,
waren sie in unseren Augen na-
türlich im Vergleich zu uns. Sie
hatten offensichtlich Geld, fuh-
ren in den Urlaub und kleideten
sich fein. Oft gingen welche an
unserem Hof vorbei, ältere deut-
sche Ehepaare in heller Klei-
dung, die wir seltsam und etwas
merkwürdig fanden. Damals tru-
gen die Frauen bei uns noch
bunte Schürzen und Kopftü-
cher, und sie hatten die Zöpfe zu
einem Kranz aufgestellt. Mutter
hat mal gesagt, die Deutschen
würden aussehen wie die Dokto-
ren im Krankenhaus. Wir fanden
sie furchtbar neugierig. Sie zeig-
Das Heimathaus
von Konrad
Steger nach dem
Umbau um 1971.
Herr Steger, wie war das
Ahrntal noch vor 50 Jahren?
Steger:
„So wie die meisten
Dörfer Südtirols, eine bäuerli-
che Welt. Dann begann sich
aber alles sehr schnell, ja radi-
kal, zu verändern.“
Wovon lebte Ihre Familie,
bevor die ersten Touristen
kamen?
Steger:
„Von Viehzucht und
Milchwirtschaft. Wir hatten
Kühe und einige Schweine.
Wir bauten vor 50 Jahren auch
noch selbst Roggen und natür-
lich Kartoffeln, Kraut und Ge-
müse an. Das Leben war karg,
wir hatten aber immer genü-
gend zum Essen, allerdings
kaum Geld. Aber man
brauchte ja nicht viel zu kau-
fen. Heute führt den Hof mein
ältester Bruder. Unsere Eltern
leben schon lange nicht mehr.“
Warum haben Sie das Buch
geschrieben?
Steger:
„Über die aufre-
gende Zeit vor rund 50 Jahren,
als der Wandel dann einsetzte,
den der aufkommende Touris-
mus und die beginnende Indu-
strialisierung ausgelöst haben,
gibt es noch wenig Schriftli-
ches. Deshalb habe ich mich
eines Tages hingesetzt und be-
gonnen mein erstes Buch zu
schreiben.“
Sie sind Lehrer.
Steger:
„Ja, ich unterrichte
Deutsch, Geschichte und Geo-
grafie an der Mittelschule St.
Johann imAhrntal und lebe in
St. Jakob im Ahrntal. Ich stu-
dierte an der Uni Innsbruck
Geschichte und Germanistik.“
Sie schreiben in der Einlei-
tung Ihres Buches, dass der
Mensch Erinnerung braucht.
Steger:
„Ja, um in der Ge-
genwart Halt zu finden. Wenn
man nicht weiß. woher man
kommt, hängt man in der Luft.
Ohne Erinnerung hat man keine
Identität und keine Wurzeln.“
Konrad Steger wurde Ende der 1950er-Jahre auf dem „Neuhaus“-Hof in
St. Jakob im Ahrntal geboren. Über diese Zeit, über das damalige Ahrntal,
dem kargen Leben und der Kinderarbeit, den ersten Touristen, die Unruhe
ins Haus und ins Dorf brachten und anderes mehr verfasste er auf humor-
volle Weise das Buch „Als noch Kartoffelfeuer brannten“. Steger im
„PVT“-Kurzinterview.
Erinnerungen an das frü
Konrad mit seinem
jüngsten Bruder,
etwa 1970.