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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 6 — 62. Jahrgang
Heute mißt man Getreide, Korn und
Mehl mit einem Gewichtsmaß, früher wur-
de es allgemein mit Hohlmaßen gemessen.
Die Galfen, das Star, das Schett, der Met-
zen, ein Maßl sind als alte Getreidemaße
manchem zumindest dem Namen nach
noch bekannt. Nun war es so, daß die ein-
zelnen Maßbehältnisse meist von Ge-
richtsbezirk zu Gerichtsbezirk verschieden
groß waren, sodaß etwa das Lienzer Star
dem in Brixen durchaus nicht genau ent-
sprach. Vom Bozner Star gab es bei uns
den deftigen Vergleich für einen großköp-
figen Menschen, er habe einen Kopf wie
ein „Boazner Star“. Im Landgericht Hein-
fels galt die „Heinfelsische Maaßerey“, es
ist aber auch von der Innichner Galfe die
Rede; sie faßte ziemlich genau elf Liter.
Zwei Galfen ergaben ein Star.
Nun war die staatliche Verwaltung der
Metternichzeit bestrebt, die zahlreichen
unterschiedlichen Maßsysteme in der
ganzen Monarchie zu vereinheitlichen.
Auf diesem Hintergrunde ist das Schreiben
des Landrichters Emil v. Ottenthal in Sil-
lian vom 4. September 1822 an den Pfar-
rer Vinzenz v. Wenser in Innervillgraten
zu sehen. Sowohl aus dem An- wie aus
dem Antwortschreiben erhalten wir
außerordentlich genaue Auskunft, wie das
Messen des von den Bauern gelieferten
Getreides gehandhabt werden konnte.
Der im Einzelfall geringe Unterschied, ob
das Meßgefäß nur „gestrichen“ voll ge-
nommen wurde oder „gehäuft“, machte in
der Menge schon etwas aus. Zudem wur-
de der Inhalt kompakter, namentlich
beim Hafer, wenn das Gefäß ein- oder
mehrmals gestoßen wurde. Beim Anhäu-
fen waren nicht weniger als drei Möglich-
keiten zu beachten und wie spitz der Korn-
kegel gehalten war. Das Streichholz
konnte gerade oder konkav geformt ge-
wesen sein. Der wichtigste Absatz des
landrichterlichen Schreibens lautet:
„Es ist der Antrag, alle Maassereyen
nach dem Wienermaaß zu reduzieren, und
dann im Handel und Wandel sowohl, als
bey dem Grund-Zehend und sonstigen Ab-
gaben die Wienermaaß gesetzlich einzu-
führen.
Es wird daher angesucht, die Aufklärung
zu geben, was bei dem dortigen Urbar für
eine Maasserey bestehe, ob gestrichen, ge-
stossen oder gehäufte Maaßerey in An-
wendung komme; bey der gestrichenen, ob
mit einem runden oder schneidenden Hol-
ze, bey der gestossenen, ob ein oder zwei-
mal gestossenen, bei der gehäuften, ob
vollständig zugespitzt oder nur zum Theil
oder nur so, daß gute Maaßerey vorhan-
den, ob die Anhäufung mit der Hand oder
mit dem Sacke beim Einschütten oder mit
einer Schaufl geschehe.“
Die gestiftete Pfarrurbars-Kornschüttung
bestand in Innervillgraten aus Roggen,
Gerste und Hafer. Ob der Zehenthafer, der
mit einem Drittel Innichen, mit zwei Drit-
teln Brixen zufiel, auch mit der pfarrlichen
Widen-Galfe gemessen wurde, ist nicht er-
wiesen. Man kann aber annehmen, daß so-
wohl das Galfenmaß im Zehentkasten, als
auch die Galfengefäße bei den einzelnen
Bauern mit dem Muttermaß im Widum in
etwa übereinstimmten.
Pfarrer Wensers Rückschreiben datiert
mit 12. September 1822 und ist konzept-
schriftlich vorhanden. Er gibt folgende
Auskunft (auszugsweise):
„Nach wörtlichem Ausdrucke des hiesi-
gen Pfarrs Urbar schon vom Jahre 1675
wurde von jeher das Schütt Korn in hiesi-
ger Widum Galfen (wahrscheinlich ist es
heimfelsische Masserey, doch was für
eine Masserey da soll gebraucht werden,
ist im Urbar nicht ausgedruckt) gestrichen
mit einem runden Holze und ohne zu stos-
sen geschüttet worden. Der sogenannte
Kirchpropst Roggen per 86 Galfen, welche
die Kirchpröpste laut Kooperaturstiftbrief
(1727) für Verpflegung eines hiesigen
Kooperators sameln, mus nach Ausdruck
des Pfaars Urbar in Heimfelsischer Mas-
serey geschüttet werden und wurde jeher
auch in hiesiger Widengalfen mit einem
runden Holze gestrichen, geliefert.
Das übrige Urbar Korn, welches sonst
hiesige Gemeinde laut Pfarrs Urbar noch
zum Unterhalt des Pfarrers zuschütten hat,
wird nicht gestrichen, aber auch nicht
gehäuft oder gestossen, sondern überhaupt
in guter Masserey in hiesiger Widum Gal-
fe geliefert. So auch die 16 Galfen Rog-
gen, welche nach alten Rechten auch von
den 16 Höfen von Unterfeld der Kuratie
Auservillgraten geschüttet werden. Wie-
viel aber obiges Widumschütt Korn nach
Wiener Mezen Maas berechnet betragen
möchte, kann dermal noch nicht genau be-
stimmt werden, weil noch das Verhältnis
der hiesigen Widengalfen Masserey gegen
der ordinari Galfe, wovon fünf Galfen ei-
nen Wiener Mezen ausmachen, nicht so
ganz bekannt ist.“
Mag die Menge in guter Maßerei gege-
ben gewesen sein, so konnte es allenthal-
ben an der Qualität des gelieferten Getrei-
des gemangelt haben. Dies war einige Jah-
re vorher offensichtlich der Fall, sodaß
sich das Pfarramt Innervillgraten ans
Landgericht Sillian um Beistand wandte.
Das landgerichtliche Schreiben, unter-
fertigt vom Adjunkten Roeck am 29. Ok-
tober 1819 bezieht sich auf obigen Kirch-
propstroggen und wendet sich in Form
einer Bekanntmachung (!) an die giebig-
keitspflichtigen Bauern, nur gut gesäuber-
tes Korn zu stellen, andernfalls könne statt
der Naturalgiebigkeit jederzeit das Äqui-
valent in Geld verlangt werden. Aufgrund
der alten Bauernhausinventare muß ange-
nommen werden, daß im Villgratental da-
mals die sogenannte Windmühle zum Ge-
treidereinigen noch nicht allgemein vor-
handen war. Die Trennung der Spelzen
und Grannen, kurz der „Numal“ vom Korn
allein durch den Luftzug im beidseitig
geöffneten Unter-Stadel war gewiß lang-
wieriger. Einige Jahre später, nämlich mit
Schreiben vom 11. Oktober 1826 an Pfar-
rer Wenser, bittet der Innichner Kapitel-
amtmann Joseph Mayr, von der Kanzel zu
verlautbaren, daß die Bauern ordentlich
gereinigtes Zehentgetreide liefern mögen.
Die beiden Schriftstücke lauten vollin-
haltlich:
„Bekanntmachung.
Bei Gelegenheit der letzten Kirchen-
rechnung ist die Beschwerde vorgekom-
men, daß bei der Sammlung des Coopera-
tur Stiftungs Getreides gröstentheils nur
schlechte Gattung Roggen abgereicht
wird. Zur Beseitigung ähnlicher Be-
schwerden für die Zukunft wird von Seite
des k.k. Landgerichtes bekannt gegeben,
daß die geistliche Vorstehung zur Annah-
me eines ungeseuberten Getreides keines-
wegs verbunden ist, vielmehr derselben in
solchen Fällen freystehe, die Reluierung
der Zins-Schuldigkeit nach dem Current
Preiß zu fordern.
K.k. Landgericht Sillian am 29. 8ber
1819 Roek mp Adjunct“
„Euer Hochwürden!
Werden hiemit höflichst ersucht, die Ze-
hend-Schüttung alldort auf den 18ten dies
zu verkünden und die Partheyen zugleich
aufzufordern, ihre Schuldigkeit in gutem,
gesäuberten Getreid zu leisten und auch
ihre älteren Reste abzuführen. Ich danke
indessen vorläufig und beharr mit Hoch-
achtung ergebenster Diener Joseph Mayr,
Kapitlamtmann e. h.
Innichen, den 11ten 10. 1826“
Alle vier Schriftstücke liegen im Pfarr-ar-
chiv Innervillgraten. Das Villgrater Galfen-
Meßmaß hat die Form eines Schaffes ohne
Griffe und ist konisch gebindert. Selbst in-
nerhalb des Tales scheint es verschieden
große Galfen gegeben zu haben, eventuell
für die einzelnen Getreidesorten.
Johannes Trojer
Gestrichen oder aufgehäuft?
Das Galfenmaß in Innervillgraten, 19. Jahrhundert
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren ver-
antwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer: Hofrat
Dr. Franz Caramelle, Landeskonservator für Tirol,
A-6020 Innsbruck, Burggraben 31. – Ingenieur
Roman Huter, Konsulent des Bundesdenkmal-
amtes, A-9900 Lienz, Roter-Turm-Weg 7, – VS-
Direktor Johannes E. Trojer †, A-9931 Außervill-
graten Nr. 170.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblätter“
sind einzusenden an die Redaktion des „Ost-
tiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini, A-6176
Völs, Albertistraße 2a.