Seite 3 - H_1996_05-06

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Vom leider allzufrüh verstorbenen Dr.
Anton Egger (1930 bis 1994, Iselsberg)
wurde die Aufmerksamkeit auf einen recht
großen Baum gelenkt, der mit seiner
weißen Blütenpracht an den Felsen nörd-
lich von St. Johann jedes Jahr weithin
sichtbar ist.
Niemand konnte zuerst die genauere sy-
stematische Zugehörigkeit klären und
heute sind auch noch Detailfragen offen.
Diese beziehen sich aber mehr auf rein bo-
tanisch-systematische Fragen und sollen
hier nicht näher erörtert werden.
Kriecherl, Kriechenbaum, Haferpflaume,
Spilling, Eierpflaume, in Kärnten auch
Schlibowitze, oft auch einfach als
Zwetschke (Zwetschge, Zwesche sind un-
richtig: Stammwort ist das verstümmelte la-
teinische swescones/Damaskus), vor
allem das böhmische s‘westka sind wei-
tere Bezeichnungen, die den Zugang zu
den Verwandten finden lassen. Nach der er-
sten Klärung der Zugehörigkeit des
„Kriecherls“ zur Steinobstgruppe um
Schlehdorn/Pflaume konnten weitere
Bäume oder Sträucher gefunden werden:
St. Johann (wie oben erwähnt ein stattlicher
Baum, der aber keine Früchte trägt, ledig-
lich im Sommer einzelne unreife), Nörsa-
cher Teich (ohne Früchte, Strauch), Lavant
(mehrere große Sträucher im Ortsgebiet,
die gelbe oder blaurote Früchte tragen, ab
Mitte September gut reif und stark von
Monilia-Fäule befallen; die Früchte erge-
ben eine ganz ausgezeichnete, wohl-
schmeckende Marmelade!), Tristacher
See-Westufer (Baum, mit einzelnen roten
Früchten im Sommer), Thal (Baum, ohne
wendig, daß die Schafe nur auf diesen
Plätzen weiden und von den übrigen Al-
penweiden durch fleißige Hirten abge-
wehrt werden. Demgegenüber hat der Au-
genschein ergeben, daß die Schafe auf den
besten Rinderweideplätzen weiden.
Die übrigen Weideplätze stehen dem
Weidevieh und den Pferden zur aus-
schließlichen Benutzung offen. Die geringe
Fruchtbarkeit des Bodens bringt es mit
sich, daß für ein Rind wenigstens fünf Joch
Weideboden gerechnet werden muß; ein
Pferd benötigt doppelt soviel Weideboden.
Bei Annahme durchschnittlicher Frucht-
barkeit der Alpe (das heurige Jahr muß als
ein Jahr mit schlechter, unter dem Durch-
schnitt bleibender Fruchtbarkeit angese-
hen werden) kann die Alpe, wenn sie mit
den 20 Pferden der Sillianer Auftriebsbe-
rechtigten besetzt ist, noch mit 50 Rindern
befahren werden, ohne daß dieses Weide-
vieh geradezu Futtermangel leidet. Diese
20 Pferde und 50 Rinder benötigen unter
der gemachten Annahme 450 Joch Weide-
boden. Die übrigen 54 Joch (vgl. oben),
welche zum weitaus größten Teil über-
haupt keine Weide bieten, dafür aus Ge-
stein oder Muhrbrüchen bestehen, gestat-
ten den Auftrieb von 100 bis 120 Schafen.
Wird mehr als dieses Vieh aufgetrieben,
so ist die Alpe überstellt, und die ordentli-
che Ernährung des Weideviehes unmög-
lich.“
Reaktionen auf das Gutachten
„Dieses Gutachten der Sachverständi-
gen wurde unverändert als Entwurf der
Regulierung vom delegierten Kommissär
angenommen mit dem Beisatze, daß
die von den Pferdeweideberechtigten
thatsächlich nicht in Anspruch genomme-
nen Weiden den Alpeneigenthümern zu-
gute kommen, so daß dadurch die freige-
wordenen Weiden von diesen Letztern aus-
genützt werden können.
Die Alpeigenthümer sprachen sich nach
Bekanntgabe dieses Gutachtens gegen jede
Beschränkung ihrer Auftriebsrechte aus,
weil sie durch ihre Wirtschaftsverhältnisse
(nur die Unterwaldner-Nachbarschaft
durch ihre geltende Weideordnung)
genöthigt sind, ihr Vieh ohne Beschrän-
kung auf eine gewisse Anzahl zu Beginn der
Weidezeit auf die Alpe zu treiben; sie könn-
ten sich höchstens beim Rindvieh die Be-
schränkung auf das auf ihren Gütern über-
winterte Vieh gefallen lassen.
Die anwesenden Berechtigten aus Un-
terwalden erklärten, auch bezüglich der
Schafe die Beschränkung auf die über-
winterten Stücke anzunehmen, wogegen
die Vertreter von Sillianberg sich gegen
jede Beschränkung in dieser Richtung aus-
sprachen. Sollte aber den Alpeigenthü-
mern eine Beschränkung ihrer Viehanzahl
aufgenöthigt werden, so verlangen diesel-
ben die weitere Bestimmung, daß auch die
Sillianer Weideberechtigten sich einen
verhältnismäßigen Abzug an ihren 20
Pferdeweiden dann gefallen lassen müs-
sen, wenn in schlechten Jahren nicht ein-
mal für das obige, durchschnittlich ange-
nommene Vieh Nahrung vorhanden wäre.
Die anwesenden Pferdeweideberechtig-
ten hatten gegen das Gutachten und den
Regulierungsentwurf nichts einzuwen-
den, sie verwahrten sich aber gegen die
von den Alpeigenthümern verlangte Be-
schränkung ihrer Pferdeweiderechte,
welche schon deshalb unmöglich wäre,
weil diese Rechte einzeln vertheilt sind;
auch wäre eine solche Beschränkung un-
zulässig, weil die Dienstbarkeit gedeckt
sein muß, bevor der Eigenthümer die
dienstbare Alpe für sich ausnützen darf.
Die Alpeigenthümer bringen noch an,
daß, wenn auch in einzelnen Jahren mehr
Vieh aufgetrieben werden sollte, als die
Alpe ernähren kann, die Folge lediglich
die wäre und naturgemäß sein müßte, daß
das gesamte Weidevieh, insoweit es nicht
von den Eigenthümern anderweitig Nah-
rung erhält, Mangel leiden muß, was im-
merhin besser ist, als wenn das Vieh zur
Unzeit verkauft werden müßte.“
Mit den Unterschriften schließt das Pro-
tokoll. Die Beurteilung des Terrains durch
die Sachverständigen ist aufschlußreich. Es
ging dann, wie fast immer in derartigen
Fällen, um die Kontingentierung der
Vieh-anzahl und um eine sorgfältige Hut-
schaft, getrennt für Galtrinder, Pferde und
Schafe. Die Stückzahlbemessung pro
Bauer erfolgte nach „Grasrechten“, später
nach „Quoten“. Maßgabe dabei war die
Menge der eigenen überwinterten Tiere;
zur Sömmerung Fremdvieh einstellen,
war seinerzeit unmöglich, ebenso unmög-
lich, ein Grasrecht (ohne den Hof) käuflich
oder pachtweise abzugeben, denn es war
auf die Hofeigenschaft radiziert.
Nummer 5-6 — 64. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Kriecherl-Früchte, Aufnahme Lavant 1993.
Foto: Alois Kofler
Alois Kofler – Naturkundliche Raritäten aus Osttirol
Der Kriecherlbaum