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Das rege Baugeschehen in Lienz gab
den Anlaß dazu, mich mit städtebaulichen
Veränderungen sowie gestalterischen
Qualitäten von Neu- und Umbauten
innerhalb des Stadtgebietes auseinander-
zusetzen. Die örtliche und soziale Identität
einer Stadt ist eng verbunden mit der Un-
verwechselbarkeit und Einzigartigkeit
ihrer baulichen Umgebung. Diese basiert
zum einen auf der geschichtlich gewach-
senen Bausubstanz mit ihrer Bedeutung als
Kunstdenkmal oder als Markstein für
stadtgeschichtliche Ereignisse und per-
sönliche Erinnerungen, zum anderen aber
auch auf qualitätvoller zeitgenössischer
Architektur als Ausdruck für bauliche
Kontinuität und damit für städtisches Wei-
terleben.
Der Vernachlässigung historischer
Bausubstanz folgt bald deren Abriß und
dem Auslöschen des Sichtbaren und
Greifbaren folgt rasch das Vergessen der
geschichtlichen Inhalte und damit der Ver-
lust von kollektiven und persönlichen
Identifikationspunkten. Manches gesell-
schaftsgeschichtlich bedeutsame Lienzer
Stadthaus wurde nicht durch Kriegsbom-
ben ausgelöscht, sondern aus mangelnder
ästhetischer und ideeller Wertschätzung
für das Überlieferte abgerissen oder radi-
kal überarbeitet. Für betroffene Objekte
wie Sartorihaus (Messinggasse 13, 15),
„Plumpfsche Behausung“ (Rosengasse 7)
oder die Gasthöfe „Sonne“ (Johannesplatz
4) und „Rose“ (Rosengasse 1) etc. wurde
auch kein architektonisch wertvoller Er-
satz gefunden, welcher den Verlust des
Geschichtlichen aufzuwiegen imstande
wäre. Was bleibt, ist ein sichtbarer bau-
licher Bruch in der Gassenwand und die
Ungewißheit, was früher war. Den Orts-
charakter von Lienz kann man nicht allein
durch die Erhaltung markanter Ansitze
und Häuser wie Liebburg und Bürgerspital
gesichert sehen.
Das historische Bild der Innenstadt wird
wesentlich mitgeprägt von den platz- und
gassensäumenden Bürgerhäusern aus
dem 15./16. Jahrhundert. Das langsame
Wachstum bis ins frühe 20. Jahrhundert
Andrea Kollnig-Klaunzer
Baukultur in Lienz
Bausünden der Vergangenheit und Architektur der Gegenwart
Nummer 3/1997
65. Jahrgang
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Abb. 1 und 2: Die Lienzer Rosengasse im Jahre 1912 (oben) und im Jahr 1997.
Ansichtskarte von Josef Werth, Toblach, im Kunstverlag W. Hofmann, Lienz bzw. Auf-
nahme von A. Kollnig-Klaunzer.