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damit den rauheren klimatischen Bedin-
gungen in Osttirol nicht angepaßt war, las-
sen den Reichtum und gleichzeitig das Be-
streben des Eigentümers, diesen zu zeigen,
klar erkennen. Zusätzlich zur Verdeutli-
chung seiner gesellschaftlichen Zu-
gehörigkeit wünschte der Erbauer des
Atriumhauses, sein kulturelles Selbstver-
ständnis als Römer bzw. als Träger der
römischen Kultur zum Ausdruck zu brin-
gen. In diesem weiter gefaßten Sinn kann
das Atriumhaus auch als Musterhaus an-
gesprochen werden, mit dem italisch-süd-
ländische Lebensform den Bewohnern des
römischen Osttirols vorbildhaft näherge-
bracht wurde.
Die Entdeckung erster Teile des Atrium-
hauses erfolgte bald nach der Wiederauf-
nahme der Grabungen nach dem Zweiten
Weltkrieg im Jahre 1950
3
. In der Folge
wurden unter dem damaligen Ausgra-
bungsleiter Franz Miltner mehrere Räume
im Westen und Süden des Gebäudes frei-
gelegt und als Heiligtum, Therme und Hof
mit umliegenden Wirtschaftsräumen ge-
deutet
4
. 1956 stieß man unter der Leitung
von Wilhelm Alzinger auf eine quadrati-
sche, marmorverkleidete Eintiefung, die
sich bald als Impluvium, d. h. als Becken
zum Sammeln des Regenwassers, heraus-
stellte
5
. Damit war das Zentrum eines
Traktes des komplexen Wohngebäudes
gefunden, das wegen der Funktion dieses
Bauteiles seit damals in seiner Gesamtheit
als Atriumhaus bezeichnet wird. Durch die
weitere Freilegung und Untersuchung des
Atriumhauses gelang es Alzinger, den
Komplex in Umfang und Aufbau zu er-
fassen. Schmerzlich mußte er erkennen,
daß die moderne Bundesstraße B 100 ei-
nes der wichtigsten Wohngebäude römi-
scher Zeit in Österreich durchschneidet
und zweiteilt. 1992 meinte er resignierend,
daß man aufgrund fehlender Grabungs-
möglichkeiten über den von der Bundes-
straße überbauten Teil nie „Klares aus-
sagen wird können“.
6
In den Jahren 1994 und 1995 ist es zum
Neubau der Bundesstraße B 100 durch
Aguntum gekommen. Der Zufall wollte
es, daß wenige Tage vor dem Ende der
damit verbundenen Notgrabungen unter-
halb des Straßenkörpers die Reste eines
großen Zierbeckens mit Marmorverklei-
dung entdeckt wurden. Diese Entdeckung
führte dank der Tatkraft von Elisabeth
Walde, der Leiterin von Aguntum seit
1991, und des konstruktiven Entgegen-
kommens der meisten maßgeblichen
Stellen zur Umplanung des Bauloses
Aguntum und zur Überbrückung der Teile
des Atriumhauses, die Alzinger schon für
immer verloren glaubte. Im Jahre 1996
konnte die feldarchäologische Untersu-
chung des bis dahin unerreichbaren Mit-
teltrakts des Atriumhauses in Angriff ge-
nommen werden. Ihre Fortsetzung in den
nächsten Jahren wird die bisher getrennten
Trakte wieder vereinen und dadurch den
zahlreichen Interessenten und Besuchern
von Aguntum die Anschauung und das
Verständnis wesentlich erleichtern.
Das Atriumhaus setzt sich aus zwei
großen, in sich wiederum gegliederten
Einzelkomplexen zusammen. An den
eigentlichen Wohn- und Repräsenta-
tionstrakt im Westen grenzt im Osten der
bis zur Stadtmauer reichende Bade- und
Wirtschaftstrakt (Abb. 1). Der repräsen-
tative Teil des Hauses weist die für eine
villa urbana typische Staffelung auf.
Durch den monumentalen, durch Säulen
gegliederten Eingang 44 an einer der
beiden wichtigen Ost-West-gerichteten
Straßen von Aguntum gelangt man in den
Trakt, der vom Atrium 45 dominiert wird.
In diesem Teil befinden sich mehrere
Schlaf-, Wohn- und Aufenthaltsräume.
Beiderseits des nach Süden offenen Tabli-
nums 45 a, eines multifunktionalen
Raumes, führen zwei Korridore in das
Garten-Peristyl, den nächsten Trakt des
Hauses. Eine weitere Raumgruppe, die
zum Verweilen und Speisen vornehmlich
im Sommer bestimmt war, schließt das
Gebäude nach Süden hin ab (Räume 8, 9,
31, 36, 38). Der Komplex im Osten besteht
aus einem mehrräumigen Bad im Norden
und einemWirtschaftstrakt im Süden samt
zugehörigem Hof.
Aus antiken Villenbeschreibungen, die
vorwiegend den wesentlich aufwendiger
gestalteten Wohn- und Repräsenta-
tionstrakt und weniger den „Bedienungs-
trakt“ zum Inhalt haben
7
, läßt sich eine
hierarchisch gegliederte Raumordnung
der villa urbana erschließen. Eine derarti-
ge Ordnung ist auch an den Ruinen des
Atriumhauses von Aguntum nachvoll-
ziehbar. Die Blicke der Passanten wurden
auf den monumentalen Eingang und
durch die am Tag offenstehenden Tore auf
den Raumluxus im Inneren gelenkt.
„Normale“ Klienten des patronus wurden
bis ins Atrium vorgelassen. Gespräche mit
wichtigeren Besuchern fanden in abgele-
generen Teilen des Hauses statt. Hochge-
stellte, mit dem Hausherren eng befreun-
dete Persönlichkeiten wurden im Garten-
Peristyl und den dahinterliegenden
Speiseräumen empfangen und bewirtet. Es
zeichnet sich also eine soziale Rangfolge
ab, „die auf die Raumordnung übertragen
immer tiefer in das Innere des Hauses
führte“.
8
Die repräsentative Wirkung einer hier-
archisch gestaffelten villa urbana dürfte
den Erbauer des Atriumhauses bei seiner
Entscheidung für diesen bestimmten
Bautypus stark beeinflußt haben. Die Be-
vorzugung dieser rein mediterranen Bau-
form, die eine Verknüpfung griechischer
(Peristyl) und italischer Elemente (Atrium)
darstellt und damit schon allein durch
seine Genese für das Klima Osttirols bzw.
der Nordprovinzen insgesamt ungeeignet
ist, macht jedenfalls die Hintanstellung
rein praktischer Überlegungen deutlich.
Das seltene Vorkommen von Atrien mit
offenem Dach in den kühlen Gegenden
des Imperium Romanum
9
unterstreicht
nicht nur deren Unzweckmäßigkeit in un-
seren Breiten, sondern betont darüber hin-
aus auch den singulären Charakter der
Wahl des Bauherrn. Die geringe Zahl
nachgewiesener Beispiele macht auch
Überlegungen in Richtung gezielter pro-
pagandistischer Reichspolitik unwahr-
scheinlich, die bei frühkaiserzeitlichen
Städtegründungen wie Aguntum durch die
Errichtung von Muster-Atriumhäusern
betrieben worden sein soll
10
. Das Atrium-
haus von Aguntum hat ohne Zweifel als
Symbol römischer Kultur auf die Bevöl-
kerung gewirkt und diese Wirkung ist vom
Erbauer wohl auch angestrebt worden,
eine in der Machtzentrale Rom erfolgte
Planung als „Propagandabau“ dürfte aber
auszuschließen sein.
Eine weitere Möglichkeit, seinen Wohl-
stand und u. U. auch Macht anderen zu
präsentieren, bietet die dekorative Ausge-
staltung des eigenen Heims. Im repräsen-
tativen Trakt des Atriumhauses hat sich die
reiche Ausstattung durch die Auffindung
kostbarer Baumaterialien wie Marmor, den
Nachweis von Mosaikfußböden und die
Bergung von Resten der Wandfresken
nachweisen lassen. Dieses wertvolle Inte-
rieur hat aber nicht nur auf die Gäste und
Besucher gewirkt, sondern letztlich auch
auf den Eigentümer des Hauses rück-
gestrahlt
11
. Es vermittelte ihm das Gefühl
eines zumindest im Sinne einer ober-
flächlichen, an materiellen Werten aus-
gerichteten Konsumgesellschaft glück-
lichen, von Fülle und Genuß geprägten
Lebens.
Anmerkungen:
1 Vitruv VI 5, 1 u. 2 (Übersetzung: C. Fensterbusch).
2 Vgl. dazu bes. A. Wallace-Hadrill, The Social
Structure of the Roman House. Papers of the Bri-
tish School at Rome 56, 1988, 43-97. P. Zanker,
Pompeji: Stadtbild und Wohngeschmack (1995)
27ff.
3 Zur Grabungsgeschichte des Atriumhauses vgl. W.
Alzinger, Das Atriumhaus von Aguntum in Nori-
cum und seine italischen Vorbilder. In: Archäolo-
gie in Gebirgen. Schriften des Vorarlberger Lan-
desmuseums A 5 (Festschrift E. Vonbank), 1992,
165.
4 F. Miltner, Aguntum. Vorläufiger Bericht über die
Ausgrabungen 1950-1952. Jahreshefte des öster-
reichischen Archäologischen Instituts in Wien
(= ÖJh) 40, 1953, Beibl. 110 ff.
5 W. Alzinger, Aguntum. Vorläufiger Bericht über
die Ausgrabungen 1955-1957. ÖJh 44, 1959, Bei-
bl. 75 ff.
6 Alzinger a.O. (Anm. 3) 165.
7 Vgl. Zanker a.O. (Anm. 2) 19.
8 Vgl. dazu Zanker a.O. (Anm. 2) 19.
9 Vgl. dazu Alzinger a.O. (Anm. 3) 165-171.
10 Die Verfolgung propagandistischer, von offizieller
Seite forcierter Ziele bei der Errichtung des
Atriumhauses wird z. B. neuerdings vertreten von
Alzinger a.O. (Anm. 3) 170. – In früheren Arbei-
ten hat Alzinger das Atriumhaus als ein „im
snobistischem Überschwang“ (W. Alzinger, Das
Municipium Claudium Aguntum. Vom keltischen
Oppidum zum frühchristlichen Bischofssitz. In:
Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 6
[1977] 396) entstandenes Werk eines Bauherren
bezeichnet, der „ob südlicher Protz oder alpenlän-
discher Nacheiferer, in jenem kleinstädtischen
Milieu verhaftet war, das zu allen Zeiten die merk-
würdigsten Blüten trieb“. (W. Alzinger, Aguntum
– Die römische Dolomitenstadt. Antike Welt 3/2,
1972, 8). – Eine ähnliche Ansicht wie neuerdings
beim Atriumhaus vertritt Alzinger schon seit lan-
gem in bezug auf die Stadtmauer von Aguntum:
Dabei soll es sich ebenfalls um einen repräsenta-
tiven Propagandabau ohne jeden praktischen Sinn
gehandelt haben: W. Alzinger, Stadtmauerpro-
bleme. ÖJh 45, 1960, 25ff., bes. 34.
11 Vgl. dazu Zanker a.O. (Anm. 2) 29f.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 6 –– 65. Jahrgang
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer:
o. Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Walde und Univ.-
Ass. Dr. Michael Tschurtschenthaler, Institut
für Klassische Archäologie der Universität In-
nsbruck, A-6020 Innsbruck, Innrain 52.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzi-
nini, Albertistraße 2a, A-6176 Völs.