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„… Für Leute, die nur durchschnitt-
liches Vermögen besitzen, (sind) prächtige
Vorhallen, Empfangssäle, Atrien nicht
notwendig, weil diese Leute anderen durch
ihren Besuch ihre Aufwartung machen,
aber nicht von anderen besucht werden. ...
Für hochstehende Personen aber, die, weil
sie Ehrenstellen und Staatsämter beklei-
den, den Bürgern gegenüber Verpflich-
tungen erfüllen müssen, müssen fürstliche,
hohe Vorhallen, sehr weiträumige Atrien
und Peristyle gebaut werden, Gartenan-
lagen und geräumige Spazierwege, die der
Würde angemessen angelegt sind“.
1
Die
vom römischen Architekturschriftsteller
Vitruv angesprochene und auch von ihm
geforderte „soziale Strukturierung“ des
vornehmen römischen Hauses ist konse-
quent in die Praxis umgesetzt worden
2
. Die
römische
„Konkurrenzgesellschaft“
brachte Hausherren hervor, die Anzahl
und Verteilung der Räume ebenso wie
deren dekorative Ausgestaltung dem Ziel
der Selbstdarstellung unterordneten. Die
wahrhaft Mächtigen stießen dabei kaum
auf materielle Grenzen. Personen mit
geringerem Einfluß und Geld versuchten
durch Nachahmung des Lebensstils der
Mächtigeren und Reicheren im Rahmen
ihrer Möglichkeiten auch im Wohnbereich
daran zu partizipieren.
In Aguntum haben sich in Form der
Ruine des „Atriumhauses“ die Reste eines
Baukomplexes erhalten (Abb. 1), an dem
sich das Bestreben nach Selbstdarstellung
besonders deutlich ablesen läßt. Die mit et-
wa 3.900 m
2
Grundfläche außerordentliche
Dimension dieses Gebäudes, die bewußte
Staffelung der Raumgruppen, die dekora-
tive Gestaltung und schließlich die Wahl
des Bautyps der villa urbana, der sich im
mediterranen Bereich entwickelt hat und
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
65. Jahrgang –– Nummer 6
Michael Tschurtschenthaler
Gedanken aus Anlaß der „Wiedervereinigung“
des Atriumhauses von Aguntum
klar die beiden Mauerzüge, und das Füll-
material ist durch eine Begrünung ange-
deutet.
Die Sanierung dieser Mauer muß in den
kommenden Jahren auch südlich der
großen Straßenbrücke fortgeführt werden.
Eine weitere große Veränderung im
Grabungsgelände bildet der neue leuch-
tend rote und für manche gewöhnungsbe-
dürftige Aussichtsturm. Dieser wurde auf
einem freien Gelände östlich der großen
Therme errichtet und dient in erster Linie
dazu, diesen Bau von oben zu betrachten,
damit in Zukunft, wenn das Mauerwerk
saniert sein wird, niemand mehr auf den
Mauern herumklettern wird. Der Turm ist
insgesamt 18,90 m hoch, und die oberste
Aussichtsplattform befindet sich in 15 m
Höhe. Von dort erschließt sich die Therme
klar in all ihren Bauphasen, viel besser, als
dies vom Boden aus je möglich wäre.
Gleichzeitig ist dieses bewußt modern ge-
haltene Bauwerk ein neuer Anziehungs-
punkt für den Besuch der Grabung.
Der Entwurf dieses originellen Baues,
die Planung, Statik und örtliche Bauauf-
sicht wurden von Architektin Dipl.-Ing.
Barbara Scherzer und Ziv.-Ing. Dipl.-Ing.
Arnold Bodner, beide Lienz, durchgeführt.
Ohne die umsichtige Mitwirkung des Bun-
des- und Landeshochbaues im Amt der Ti-
roler Landesregierung unter Hofrat
Dipl.-Ing. Ewald Flir mit seinem Mit-
arbeiter Dipl.-Ing. Gerhard Wastian wäre
die Realisierung dieses Turmes aber
nicht möglich gewesen.
In Kürze wird eine Informationstafel auf
der obersten Aussichtsterrasse Erklärun-
gen zur Baugeschichte der Therme geben.
Der Besucher der Aguntiner Ruinen findet
heute moderne Informationstafeln im ge-
samten Grabungsgelände, deren Zahl je
nach Bedarf auch in Zukunft erweitert
werden kann. So wird dies, sobald das
Atriumhaus mit seinem imposanten Was-
serbecken im Garten ausgegraben sein
wird, was im Sommer 1997 erfolgen soll,
sehr bald notwendig sein.
Auch im Museum Aguntinum sind
immer wieder neue Stücke, insbesondere
restaurierte Keramik, zu besichtigen.
Hier wären in erster Linie die zwei in ei-
nem Annexraum des Atriumhauses
gefundenen Standamphoren – beide sind
praktisch gleich groß – zu nennen. Sie
stammen, wie Vergleichsfunde belegen,
aus der 1. Hälfte des 1. Jhdts. n. Chr.
Blickt man nun ein bißchen in die Zu-
kunft, so werden unsere nächsten Planun-
gen der durch die laufenden Grabungen
notwendig gewordenen Neugestaltung
des Gartens des Atriumhauses mit seinem
großen Marmorbecken und dem Museum
im Schutzbau gelten. Hier gehen die Über-
legungen in Richtung einer Vergrößerung
der Museumsräume und in jedem Fall ei-
nes weiteren Schutzbaues über dem Mar-
morbecken im Garten. Daneben muß die
Sanierung des stark verwitterten Mauer-
werkes der Therme erfolgen – ein teures,
aber dringend notwendiges Unterfangen.
Zur Zeit wird hier der heutige Bauzustand
aufgenommen, um die Kosten der Restau-
rierung überblicken zu können.
Abschließend sei auch noch, da die
Aguntiner Grabung ja in engem Zusam-
menhang mit Lavant zu sehen ist, die Ein-
richtung eines neuen, sehr ansprechenden
Museumsraumes in Lavant unter der Auf-
bahrungshalle erwähnt, der einen Teil der
Funde der Ausgrabungen der letzten Jahre
präsentiert, vor allem aber auch eine große
Zahl der bearbeiteten römischen Marmor-
steine aus Lavant zeigt. Sämtliche Gra-
bungsfunde – sowohl aus Lavant, wie auch
aus Aguntum – werden in der Restaurie-
rungsabteilung des Archäologischen Insti-
tutes in Innsbruck restauriert und für die
museale Ausstellung vorbereitet.
Die beiden Standamphoren aus dem Be-
reich Atriumhaus; eine bereits restauriert,
die zweite noch zerbrochen.
Foto: Institut für Klassische
Archäologie, Innsbruck
Eßlöffel aus
Silber, Länge
8,8 cm, gefun-
den südlich der
Bundesstraße
im Zuge der
Grabungen
für den
Brückenbau.
Das spitze
Ende dient zum
Aufspießen von
festen Speisen.
Foto: Institut
für Klassische
Archäologie,
Innsbruck