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Nummer 7/1997
65. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Michael Huber
Zum Gedenken an Dr. Josef Stemberger
Der erste Osttiroler Nationalratsabgeordnete nach dem Zweiten Weltkrieg verstarb vor 50 Jahren
Wer sich heute mit Osttiroler
Nachkriegsgeschichte beschäf-
tigt, der wird vor allem der Per-
sönlichkeit Franz Kranebitters
begegnen, der durch Jahrzehn-
te hindurch die Geschicke des
Bezirks geprägt hat. Am Beginn
der Osttiroler Nachkriegsge-
schichte steht freilich eine Per-
son, die nicht zuletzt wegen des
frühen Todes allzu rasch in
Vergessenheit geriet: Dr. Josef
Stemberger, Nationalratsabge-
ordneter der Zweiten Republik
vom 19. 12. 1945 bis zum 8. 7.
1947, dem Tag seines Ablebens.
Bereits unmittelbar nach sei-
nem Tod widmeten ihm nicht
nur der Osttiroler Bote, son-
dern auch die Osttiroler Hei-
matblätter einen ausführlichen
Nachruf. Danach geriet er
bald in Vergessenheit. Die
fünfzigste Wiederkehr seines
Todestages sowie die glückliche
Fügung, mit dem Sohn des
„Nitzerdoktors“, wie man ihn
im Defereggental einfach
nannte, Dr. Edwin Stemberger,
freundschaftliche Beziehungen
pflegen zu dürfen, war der An-
laß für mich, diesen Artikel zu
verfassen. Gerade dem Letztge-
nannten verdanke ich wertvolle
Hinweise aus mehreren Ge-
sprächen; außerdem stellten
Dr. Edwin und seine Schwester
Anni Stemberger mir zahlreiche persön-
liche Dokumente ihres Vaters zur Verfü-
gung, ohne die die vorliegenden Zeilen
nicht hätten entstehen können. Dieser
Artikel sei aber nicht zuletzt auch als klei-
ner Beitrag zur Osttiroler Nachkriegsge-
schichte zu verstehen, in der bislang von
NR Stemberger nur selten die Rede war
1
.
Josef Stemberger kam am 11. 3. 1890
am Nitzerhof in St.Veit als Sohn des Mel-
chior Stemberger (3. 9. 1853 – 27. 7.
1907) und der Monika, geb. Kleinlercher
(11. 9. 1857 – 12. 5. 1916) zur Welt. Sei-
ne bis ins späte Mittelalter nachweisbare
Familie bewohnte schon seit Generationen
diesen am steilen Berghang gelegenen Hof
in der Rotte Gritzen
2
. Er war das zweite
von insgesamt fünf Geschwistern. Josef
Stemberger besuchte die Volksschule in
St.Veit und trat im Anschluß daran im
Herbst 1903 in das Untergymnasium Vin-
zentinum in Brixen ein. Diese Schule war
damals das nächste Gymnasium für das
Defereggental, und so ist es erklärlich, daß
noch zwei weitere Schüler von dort
kamen
3
. Unter den Mitschülern sei der spä-
tere Pater Johann Steinmair aus
St. Magdalena in Gsies genannt,
vor allem aber der nachmalige
Professor für Ethik und Sozial-
wissenschaften an der Univer-
sität Wien, Johannes Messner
aus Schwaz. Ein weiterer Mit-
schüler war der spätere Profes-
sor für Deutsch und Geschichte
an der Bundes-Lehrerbildungs-
anstalt in Innsbruck, Dr. Lud-
wig Mellitzer, ebenfalls aus
St. Veit, welcher Ende 1948
verstarb. Von 1907 an war
Stemberger im Gymnasium
der Jesuiten „Stella Matutina“
in Feldkirch in Vorarlberg, wo
er 1910 mit Auszeichnung ma-
turierte
4
.
Unmittelbar nach der Matura
begann er ein Rechtsstudium an
der Universität Innsbruck
(1910 – 14), wo er auch der
Studentenverbindung Raeto-
Bavaria beitrat; er beendete es
in Wien, und absolvierte den
Abiturientenkurs an der „Neuen
Wiener Handelsakademie“ in
Wien-Josefstadt. Dazwischen
betrieb er auch „Sprachenstu-
dien“ in Italien. Seine „Spitzen-
fächer“ waren außer Rechts-
wissenschaft „Volkswirtschaft
und Gesellschaftswissenschaft,
Sprachen und Geschichte“,
wie er in seinem am 9. 10. 1946
für den Nationalrat der Repu-
blik Österreich abgefaßten handgeschrie-
benen Lebenslauf (Curriculum Vitae)
freimütig bekennt
5
. Er hat die Absicht, sich
später dem konsularischen Außendienst zu
widmen, wo ihm sowohl seine rechtswis-
senschaftlichen als auch seine sprachlichen
Studien dienlich sein würden. Er hatte
sogar Kontakte mit dem Thronfolger, der
an Reformplänen zur Umgestaltung der
Monarchie arbeitete. Franz Ferdinand
stellte ihm eine Mitarbeit nach Abschluß
seiner Studien in Aussicht. Während des
Ersten Weltkrieges war er zum III. Regi-
Aufnahme von Josef Stemberger, 1915.
Foto: Franz Grabietz, Laibach