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In der Ersthälfte des Monats Juli 1997
machten Berichte in diversen Massen-
medien darauf aufmerksam, daß der in
Virgen, genau genommen entlang des Fir-
schnitzbaches, wuchernde Riesenbärenklau
ein gefährliches Gewächs für die Gesund-
heit der Anrainer bedeuten könne.
1
Aus aktuellem Anlaß wie auch aus
historisch-volkskundlichem Interesse sei
hier auf einen, wenngleich nicht unmittel-
bar vergleichbaren, so doch im weiteren
Sinne ähnlich gelagerten Fall verwiesen,
der sich im Jahre 1702 in Virgen zugetra-
gen hat. Damals wie heute bildete eine an
sich bekannte, heimische Pflanze die Ur-
sache der Erregung, die durch existen-
zielle Ängste genährt wird.
Die historisch verbürgte Angelegenheit
stellt sich allerdings von etwas heiklerer
Art dar, wurde sie doch vor Gericht abge-
handelt und, wie ersichtlich, definitiv ge-
regelt. Zum besseren Verständnis sei der
nachfolgenden Textpassage aus dem
Verfachbuch „Virgen-Defreggen“
2
ein
kurzer Sachverhalt vorangestellt:
Die Bäurin Elisabeth Sonnberger führt
vor dem damaligen Pfleger und Richter zu
Virgen, Herrn Jakob Andrä Miller von
Aichholz, Klage, daß sie von Nachbarn ge-
ziehen werde, ein bestimmtes Kraut unter
das Viehfutter zu mischen, wodurch die
Nachbarskühe die Milch verlören. Daß
selbiges den Tatsachen entspreche, kann
auch der zu Rate gezogene Arzt Christoph
Mariacher nicht ausschließen. Solch üble
Nachrede könne sie, E. S., nicht auf sich
beruhen lassen, wo sie doch selbiges Kraut
neben anderen auch weihen lasse und nur
in gutem Glauben zufüttere.
Bemerkenswert hiezu erscheint, daß we-
der die einfache Frau vom Lande, deren
Versuch des Kraut-Zufütterns Anstoß er-
regte, noch der für gelehrt erachtete
Medikus über Gebrauch und Wirkung des
„Liebstöckel“
3
– um dieses Pflanzenge-
wächs aus dem Bauerngarten handelt es
sich – erschöpfend informiert war. Die
konsequente Vorgangsweise des Richters
erstaunt weniger, war ihm vermutlich die
früher praktizierte Handhabung ähnlich
gelagerter Fälle, die bekanntlich oft allzu
leicht mit Zauberei und Hexerei in Ver-
bindung gebracht wurden und einen fata-
len Verlauf nahmen, bewußt.
Eintragung im Verfachbuch, fol. 126,
datiert auf den 26. Juli 1702:
„Erscheint Elisabeth Sonnbergerin in
Gegenstand ihres Bruedern Veiten Teiß und
ihres Sohnes Michael Sonnberger und sei-
ner Ehewirtin Elisabeth Troyerin klagsweis
fürbringend, wie dass sie wider alles Ver-
hoffen vernehmen müeste, ob seie ihnen
4
die
Milch von ihren Kueen benehmben täte,
welliches aber sie gänzlich widerspröche,
mit weitern Anruefen, dass aintweders sie
beklagte Eheleut solches auf derselben pro-
bieren oder aber offentliche Abbitt thuen
sollen, und dies mit weiterer Notdurft.
Darüber haben sie beklagte Eheleut in
Beistand des Valtin Golters in Antbort vor-
bringen lassen, dass sie die klagende Sonn-
bergerin niemals gescholten hätten, allein
wurde [diese] nit widerspröchen kinnen,
dass sie ein gewisses Kraut Lustig genannt,
mit gefietert hätten, so nach Aussag des al-
hie befindlichen Arzten Christoph Maria-
cher neben andern die Wirkung habe, dass
wann [man] solliches fietert, dardurch
denen andern benachberten oder auf der
Waid mitgehenden Küen die Milch ent-
zogen werde. Und weilen dann ihr [der]
beklagten Eheleut (rev.) Kühe die [Milch]
verloren hätte, seie wahr, dass sie an
diesem Kraut ein Bedenken getragen. Im
Übrigen wissen sie Eheleut wider die
Elisabeth Sonnbergerin, ihren Brueder
oder Sohnen nich Widriges.
Über welliches sie Sonnberger weiters
angebracht, es seie wahr, dass sie von die-
sem Kraut, neben andern Kräutern, etwas
weichen lassen, hätte auch solches als ein
geweichtes Leck unter ihren /:rev.:/ Küen
und andern Guet oder Vieh gebracht,
allein woll sie im Notfall ein leiblichen Eid
ablegen, dass sie solches bona fide ge-
braucht, auch nicht das Geringeste ge-
wusst, dass dieses Kraut ein dergleichen
Wirkung habe, oder gehört hätte.
Worauf dem vorgestellten Christophen
Mariacher zugesprochen worden, ob
wahr seie und soliches genuegsamb verifi-
ciren kinne, dass dieses Kraut soll diese
Eigenschaft und Wirkung haben. Über
welliches er beantwort, dass er sich gue-
termaßen erinnere gelesen zu haben, dass
dieses Kraut neben andern auch diese Wir-
kung habe. Und weilen dann andurch die-
ses Kraut bedenklich wird, als soll die kla-
gende Elisabeth Sonnbergerin schuldig
sein, an Eid statt anzuloben, erstlich, dass
sie umb diese Wirkung nicht gewußt, auh in
keiner denen andern Benachbern Schaden
bringenden Meinung gefietert worden sei,
und fürs ander, dass man solches hinfür
nimbermehr gebrauchen oder fietern wolle.
Welliches sie auch effective gethan.
Derohalben soll diese erfolgte unwis-
sende Krautfieterung ihr Elisabeth Sonn-
bergerin, allen ihren Hausgenossen ganz
unnachteilig und unschädlich, auch alle
Teil wiederumben zu gueten ehrlichen
Nachberleiten erkennt und gesprochen
sein. Inmaßen zu dem Ende jeden Teil bei
6 Taler unnachlässlicher Straf auferlegt
wird, hinfüron weder mit Worten noch
Werken nit zu Beleidigungen offendiern, zu
solchem Ziel auch einander die Hand, zu
Erzeugung gueter neuer Freund= und
Nachberschaft bieten und röcken sollen.
Welliches dann auch alles wirklichen
beschechen und allem fleißig nachzukom-
men von allen Teilern Herrn Pfleger globt
haben.“
Anmerkungen:
1 Vlg. etwa: Experten bezeichnen Befürchtungen bezüg-
lich des Riesenbärenklaues als übertrieben. Bericht in:
Osttiroler Bote, Nr. 28; 10. Juli 1997, Seite 6.
2 Verfachungen des Gerichtes Virgen-Defreggen, Eintra-
gung vom 26. Juli 1702. – Abschriften in MASB (= Mu-
seumsarchiv Schloß Bruck), OR (= Oberforcher-Rege-
sten) I/25.
3 Kraut „Lustig“ – volkstümliche Bezeichnung der Gegend
für Liebstöckel. Vlg. hiezu: Willfort, Richard: Gesund-
heit durch Heilkräuter, 20. Aufl. 1979, Seite 330 f.
4 Lt. J. Oberforcher sind die Namen der Beklagten im Ori-
ginaltext gelöscht. Vermutlich geschah dies nachträglich
aus Rücksicht auf den Ruf der beklagten Partei.
an einem Berghang zum Rauchkofel das
Fragment eines Dreifußkessels (Abb. 7).
Das im Querschnitt annähernd rundliche
Standbein besitzt eine glatte Stehfläche,
einen geriffelten Sockel und ein nach oben
hin verdicktes Ende mit schräger Bruch-
fläche.
Dreibeinige Töpfe aus Bronze oder
Eisen wurden zum Kochen über dem
offenen Feuer verwendet. Eine Bearbei-
tung dieser Materialgruppe für Tirol liegt
erst in bescheidenen Ansätzen vor
17
.
Nach typologischen Vergleichen
18
stammen solche Kochgeräte allgemein aus
dem 17./18. Jahrhundert.
AO Privatbesitz, Leisach (ohne Inv.
Nr.).
(R. K.)
Anmerkungen:
1 Freundliche Mitteilung Dipl.-Ing. Walter Hauser, Inns-
bruck.
2 A. Morgan, Die Silexpfeilspitzen vom Mondsee, Oberö-
sterreich, im Rahmen des Jung- und Spätneo-
lithikums Zentraleuropas. Arch. Austriaca 67, 1983,
1 - 157.
3 B. Reiterer. Fundber. Österreich 32, 1993, 771, 772,
Abb. 808.
4 H. Th. Dolenz, Studien zu den Eisenmessern vom Mag-
dalensberg in Kärnten. Carinthia I, 1992, 92ff, Taf. 5,
Abb. 31. - J. Nothdurfter, Die Eisenfunde von Sanzeno am
Nonsberg, Röm.-Germ. Forschungen 38, 1980, 16ff. - G.
Jacobi, Werkzeug und Gerät. Manching 5 (Wiesbaden
1974) 116ff.
5 St. Karwiese, Der Ager Aguntinus (Wien 1975) 59.
6 St. Martin - Kilcher, Die römischen Amphoren aus Augst
im Kaiseraugst (Basel 1987). - E. Schindler - Kaudelka,
Italienische Terra sigillata aus Flavia Solva. Fundber.
Österreich 33, 1995, 357 - 391.
7 A. Schernthanner, Beschreibungen einiger prähistorischer
Ausgrabungen in Tirol. Zu Obermauern in Virgen. Mitt.
Anthr. Ges. Wien 23, 1993 [60].
8 Eine archäologische Grabung im Inneren oder eine Bau-
analyse steht noch aus.
9 Die abgebildeten Tuschezeichnungen werden Herrn Dr.
Hans Nothdurfter, Sterzing, verdankt.
10 O. Almgren, Studien über nordeuropäische Fibelformen
(Leipzig 1923) 36.
11 W. Jobst, Die römischen Fibeln aus Lauriacum (Linz
1975) 29ff.
12 Schernthanner (Anm. 7) [60].
13 V. Bierbrauer, Invillino – Ibligo in Friaul. Die römi-
sche Siedlung und das spätantik-frühmittelalterliche
Castrum. Münchner Beitr. zur Vor - und Frühgesch. 33,
1987, 152 Taf. 49,3; 63,14.
14 G. Piccottini, Das spätantike Gräberfeld von Teurnia.
Vaterländ. Gesch. u. Topogr. 66, 1976, 77 - 79, Taf. 1,3.4.
15 Bierbrauer (Anm. 13) Abb. 23, 1.2.7.
16 H. Th. Dolenz, Studien zu den Eisenmessern vom Mag-
dalensberg in Kärnten. Carinthia I, 1992, 127 - 134, Taf.
9,10. - H.-U. Haedke, Spezialmesser, (Solingen 1996). -
H. Stadler, Alte und neue archäologische Entdeckungen in
Osttirol. Osttiroler Heimatbl. 61, 7 - 8, 1993, Abb. 9, 18.
17 H. Gschnitzer / H. Menardi, Essen und Trinken, Feuer und
Licht (Innsbruck 1983) 6 - 11.
18 W. Dexel, Das Hausgerät Mitteleuropas. Wesen und
Wandel der Formen in 2 Jahrtausenden (Braunschweig
1962). – T. Dexel, Gebrauchsgerättypen II (München
1981) 52 f.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
65. Jahrgang –– Nummer 8
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschriften der Autoren dieser Nummer:
Autorenkollektiv vertreten durch Univ.-Ass. Dr.
Harald Stadler, Institut für Ur- und Frühge-
schichte der Universität Innsbruck, A-6020 In-
nsbruck, Innrain 52. – Dr. Alois Ebner, Kustos
des Museums der Stadt Lienz, A-9900 Lienz,
Schloß Bruck.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblätter“
sind einzusenden an die Redaktion des „Ostti-
roler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzi-
nini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Lois Ebner
Ein gewisses „Kraut Lustig“
Abb. Abbildung
AO Aufbewahrungsort
B Breite
Bb Basisbreite
Bg Breite - Griff
Bk Breite - Klinge
Br
Breite - Rücken
Dm Durchmesser
DmB Bodendurchmesser
DmR Randdurchmesser
erh.
erhalten
g
Gramm
gr.
größte
Gew. Gewicht
H Höhe
KG Katastralgemeinde
L Länge
Lg Länge - Griff
Lk Länge - Klinge
OG Ortsgemeinde
St
Stärke
VB Verwaltungsbezirk
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