Seite 2 - H_1999_08

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
67. Jahrgang –– Nummer 8
Aus Tirol kennen wir bislang nur ein
Fragment eines keramischen Horns (Abb.
3). Dieses fand sich im Stadtbereich von
Lienz bei Ausgrabungsarbeiten 1990 im
nordwestlichen Areal des alten „Bruggen-
kachler“-Anwesens (heute Kärntner
Straße 7) in einer Bruchgrube
7
. Diese
Grube diente sowohl als Deponie für
Werkstattbruch einer Hafnerei als auch für
Hausmüll. Neben Schüsseln mit Malhorn-
dekor konnten unter anderem Teller, Ofen-
kacheln, das Fragment einer Pfeife und so-
genannte Probierschälchen geborgen
werden. Für die Datierung des Fundkom-
plexes ist unter anderem ein Model für
eine Christusfigur entscheidend, das auf
der Rückseite die Initialen MZ (Michael
Zimmermann) aufweist. Auf
dem Anwesen bestand den Ar-
chivalien
8
zufolge von 1712
bis ca. 1900 die Hafnerei
Zimmermann-Troger-Ganzer,
der auch diese Bruchgrube zu-
zuweisen ist. Die jüngsten
Funde der Auffüllung datieren
den Grubeninhalt ins 18./19.
Jahrhundert.
Vieles spricht dafür, dass die
Herstellung des Horns in dieser
Hafnerei erfolgte. Das Fehlen
weiterer solcher Instrumente
aus einem vergleichbaren
Kontext könnte auf eine sin-
guläre Produktion, vielleicht
auf eine Art Gesellenstück
hinweisen.
Trotz des stark fragmentier-
ten Zustandes des Instruments
sind fünf zusammenhängende
Teile des oxidierend gebrann-
ten Rohrs erhalten. Der
Scherben zeigt eine orange bis
rosa Färbung und Glimmer-
magerung. Das Stück ist un-
glasiert, nur vereinzelt sind
Flecken einer in sich leicht
beigen bis grünlichen Transparentglasur
an der Außen- und Innenseite zu beob-
achten.
Die Form entspricht, ausgehend von der
Typologie nach Haasis-Berner, dem „ge-
wundenen Horn mit vertikaler Win-
dung“
9
. Bei Hörnern dieses Typs sind so-
wohl Exemplare mit zylindrischer, als
auch solche mit konischer Bohrung
10
nach-
zuweisen
11
. Die Bohrung des Lienzer
Horns ist konisch. Die äußere Windung
des Rohrs wird durch zwei Absätze ge-
gliedert, die sich an der Außenseite nur
durch eine schwache Richtungsänderung
abzeichnen. Ob dies produktionsbedingt
oder spieltechnisch notwendig war, muss
offen bleiben. Die Angarnierung des
Schalltrichters erfolgte direkt an die inne-
ren Rohrwindungen. Reste dieser Befesti-
gung sind erhalten. Aufgrund dieser Ab-
drücke kann sich der Trichter kaum vom
Instrumentenkörper gelöst haben, wobei
die Mündung allerdings fehlt. Das Lienzer
Horn ist mit einer Rohrlänge von 4,50 m
eher lang, es muss demnach über einen re-
lativ großen Tonumfang verfügt haben.
Anhaltspunkte für die Anblasvorrichtung
liegen nicht vor. Dieser Horntyp verfügt
oft über ein mitgearbeitetes Trichter-
mundstück.
Trotz des stark fragmentierten Zustandes
und unter Berücksichtigung des fehlenden
Mundstücks wird eine Rekonstruktion
(Abb. 4) versucht.
Gewundene Hörner aus datierten Fund-
situationen treten frühestens um 1400
auf
12
, wobei die Instrumente aus Keramik
solche aus Metall imitieren. Die Mehrzahl
der Funde dieses Typs ist ins 15. /16. Jahr-
hundert einzuordnen
13
. Dargestellt ist ein
gewundenes Horn 1511 in Sebastian Vir-
dungs „Musica getutscht“
14
. Virdung be-
zeichnet es als „Jegerhorn“ im Gegensatz
zum daneben abgebildeten gebogenen
Horn, das er „Acherhorn“ nennt. Es wer-
den dabei aber keine Angaben zum Mate-
rial gemacht. Generell bezeichnet Virdung
diese Hörner als nicht „echte Musikin-
strumente“.
Aus einem mittelalterlichen
15
Gruben-
haus
am
Marktplatz
von
Gif-
horn/Niedersachsen, BRD, stammt ein
weiteres Fragment eines gewundenen
Horns aus Keramik
16
. Erhalten sind die Re-
ste von zwei übereinanderliegenden
Röhren und dem Ansatz einer dritten.
Ins 16./17. Jahrhundert kann das Frag-
ment eines als „jagdhornartiges Blasin-
strument“ bezeichneten Horns mit drei
Windungen und dem Ansatz des Schall-
trichters aus dem Burgareal von Zossen
bei Potsdam
17
datiert werden. Das Instru-
ment besteht aus hellockerfarbener Kera-
mik mit unglasierter Oberfläche.
Die Bandbreite der Verwendung solcher
Hörner war sehr vielfältig. Das Spektrum
reicht vom Jagd- und Pilgerhorn bis hin
zum Signalinstrument von Weinbauern und
Nachtwächtern
18
. In Frankreich sind kera-
mische Hörner zur Einberufung von Feld-
arbeitern noch im 19. Jahrhundert belegt
19
.
Aufgrund einer Parallele dürfte das Li-
enzer Exemplar den Signalinstrumenten
des späten 18./frühen 19. Jahrhunderts zu-
zuweisen sein, die vor allem im ländlichen
Bereich benutzt wurden. Bei dem Ver-
gleichsstück handelt es sich um ein kera-
misches Horn des gewundenen Typs aus
Zoar, Tuscarawas County, Ohio
20
, das dort
in einer Hafnerei von einem eingewander-
ter deutschen Töpfer hergestellt wurde.
Die Gründung dieser Töpferei in Zoar er-
folgte 1817
21
. Das Stück ist oxidierend ge-
brannt und innen und außen mit Transpa-
rentglasur versehen, der Trichter wie beim
Lienzer Horn mit den inneren Windungen
durch Angarnierung verbunden. Guilland
22
schlägt eine Datierung um 1818 vor. Auch
dieses Horn wurde für die Rückrufung von
Feldarbeitern benutzt.
Abb. 2: Pro-
duktionsvor-
gang mit der
Schneidöse
(nach Kunz).
Abb. 3: Li-
enz, Horn-
fragment aus
Keramik.
Zeichnung:
M. Schick