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ERINNERUNGEN

PUSTERTALER VOLLTREFFER

AUGUST/SEPTEMBER 2015

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Anton Schett (2. v. r.) mit den

Eltern Maria und Johann sowie

den Geschwistern Maria, Josef,

Franz und Johann (v. l.), der

1940 in den Krieg ziehen

musste, und seit 1944 in Russ-

land vermisst wird.

Polen konnte Narvik am 28. Mai

wieder zurückerobert werden.

Am 7. Juni brach der Wider-

stand Norwegens allerdings ein

und das gesamte Land wurde

von Deutschland besetzt. Wäh-

renddessen marschierte Schett

nach Freiburg - allerdings unter

großen Schmerzen. Er hatte

sich einen Abszess an der Ferse

zugezogen. Während der Arzt in

Freiburg ihn das Weitermar-

schieren verbot, zeigte der Zug-

führer keine Gnade. Er schrie

den jungen Strassener an: „Sie

marschieren solange bis Sie

umfallen. Wenn Sie umfallen,

wird Sie schon jemand wegzie-

hen!“ Kilometerlang war der

Soldatentross, der Freiburg ver-

ließ und in dem Schett langsam

mitmarschierte. Doch nach einer

Weile gab es kein Weiterkom-

men mehr für ihn. Der Schmerz

war unerträglich.

Im Lazarett

Schett: „Ich wurde in ein La-

zarett gebracht.“ Schon der

Eingang war voller Blutspuren.

Es waren schon viele verwun-

dete Männer da, die an der

französischen Grenze erbittert

gekämpft hatten. „Der Arzt

schnitt mir ein Kreuz in die

Ferse - bis an den Knochen. Ich

spürte das gar nicht. Denn ich

hatte von Haus aus große

Schmerzen. Der viele Eiter

spritzte bis ans Fenster, und ich

spürte eine große Erleichte-

rung. Im Zimmer fiel ich sofort

in einen tiefen Schlaf, aus dem

ich um 4 Uhr wieder gerissen

wurde. Neben mir auf dem

Boden lag ein Mann mit aufge-

rissener Brust und einer Kugel

im Herzen. Ich weiß nicht, ob

er noch lebte.“ Schett musste

sein Bett verlassen und stol-

perte über die vielen weiteren

Schwerverletzten, die ins Laza-

rett gebracht wurden, während

er geschlafen hatte. „Sogar der

Gang war mittlerweile voll.“

Schett brachte man in einem

Lazarett in Ulm unter, wo er

sich aufgrund der nassen Mau-

ern eine schwere Angina zuzog.

Nach Norwegen

„Endlich wieder erholt, kam

der Befehl, dass ich ins Militär-

lager Setermoen nach Nordnor-

wegen müsse. Alles sträubte sich

in mir. Die Psyche spielte ver-

rückt. Ich bekam furchtbare

Magenschmerzen, und das

Essen blieb mir nicht mehr

unten. Doch es half nichts. Ich

musste mit.“ In Setermoen und

auf den Lofoten wurde er zu vie-

len Lagerarbeiten eingeteilt.

„Tag und Nacht mussten auch

Schiffe entladen werden, etwa

haufenweise Getreide, um die

Tausenden von deutschen Sol-

daten zu versorgen. Auch musste

ich mit anderen für einige Mo-

nate mit dem Fahrrad nach Finn-

land“, erzählt Schett, der im Jän-

ner 1944 in Norwegen den Füh-

rerschein für Lastwagen und

Motorrad absolvierte. Im Juni

1944 kam der Befehl: „Sofort

nach Finnland!“ „Ich fuhr den

Munitionswagen. Viele andere

waren mit dem Rad unterwegs.

1.000 Kilometer hatten wir zu-

rückzulegen. Wir waren dann in

einer Gegend, in der nichts

wuchs und es nur sumpfig war.

Wir sollten die Russen zurück-

drängen sobald sie angriffen.“

Am 7. Oktober 1944 brach

bei eisigen Temperaturen die

Petsamo-Kirkenes-Operation

los. Diese Winterschlacht im

Polargebiet zwischen der sow-

jetischen Karelischen Front und

deutschen Truppen in Nordnor-

wegen und Finnland dauerte bis

29. Oktober an.

Enorme Verluste

Die sowjetischen Verluste be-

trugen über 21.000 Mann, da-

runter rund 6.000 Gefallene und

Vermisste. Nach sowjetischen

Angaben fielen in dieser

Schlacht 30.000 deutsche Sol-

daten. „Die Schlacht war wirk-

lich sehr brutal. Es hat nur mehr

gekracht und gedonnert.“ Schett

überlebte und zog mit den ande-

ren Überlebenden wieder nach

Norwegen zurück.“ Am 7. Mai

1945 ereilte ihn um 16 Uhr die

Meldung: „Deutschland hat ka-

pituliert. Der Krieg ist zu Ende.“

Die Truppe verschoss deshalb

ihre Munition. „Unser Ziel

waren Pappfiguren. Doch schon

bald wurden wir eindringlich an-

gewiesen, uns ruhig zu verhal-

ten. Die Engländer kamen.“

Ende Juni ging es für Schett

heimwärts. Zuerst auf Schiffen,

dann in Kohlewagen. „Im

Lager Glasenbach in Salzburg,

einem Internierungslager der

Amerikaner für Nazi-Verdäch-

tige, mussten wir elf Tage lang

bleiben. Es wurde von rund

20.000 Personen durchlaufen“,

erinnert sich Schett, der an-

schließend in einem Lager in

Villach landete. „Dort bekamen

wir ein Frühstück, das für uns

völlig ausgehungerte Männer

wie ein Hochzeitsessen war.

Eine ganze Tasse Kaffee und

ein Packel Knäckebrot.“

Einer der ersten

Heimkehrer

An den Tag der Rückkehr er-

innert sich der 98-Jährige noch

genau: Es war der 26. August

um 10.45 Uhr, ein Sonntag, an

dem der Strassener in Lienz

eintraf und dort gemeinsam mit

anderen Osttirolern entlassen

wurde. Er war einer der ersten

Heimkehrer Osttirols. „Aus

dem Oberland waren an die 50

Leute. Wir wurden auf einem

englischen Anhänger nach-

hause transportiert. Zuerst re-

deten wir kein Wort miteinan-

der, weil wir wie benommen

waren. Erst in Thal realisierten

wir, dass es jetzt tatsächlich

nachhause ging. Die Stimmung

wurde besser.“ In Strassen lief

die Mutter vorerst an Anton

vorbei, weil sie ihn gar nicht er-

kannte, so anders schaute er

nach dem Kriegseinsatz aus.

„Als sie mich realisierte, rannte

sie sofort in die Kirche, um zu

danken.“ Der älteste Bruder Jo-

hann, ein Zimmerermeister,

kam nie mehr aus dem Krieg zu-

rück. „Er gilt bis heute in Russ-

land als vermisst. Wir hatten uns

noch während des Krieges in

München getroffen. Am 26.

Mai 1944 schrieb er noch, dass

er in einem Lazarett sei, weil er

von einem Ross geschlagen

wurde, und er hoffe, dass er in

zwei Tagen wieder gut sei.“

Martina Holzer

Anton Schett wurde am 8.

Juni 1917 auf dem Hof „Tol-

der“ in Heising (Strassen) ge-

boren – als Kind von Maria

und Johann. Er hatte vier Ge-

schwister: Johann (seit 1944

vermisst), Franz, Josef und

Maria. Nach dem Zweiten

Weltkrieg arbeitete Anton vor-

erst auf dem elterlichen Hof,

führte dann den Hof des ver-

missten Bruders „Schupfer“ in

Hof weiter und richtete ihn her.

1957 heiratete er die Nach-

barstochter, Philomena Kont-

schieder (†). Es kamen sieben

Kinder zur Welt: Philomena,

Maria, Anton, Jakob, Johann,

Franz und Anna. Mittlerweile

hat Anton Schett auch 19

Enkel und drei Urenkel.