Previous Page  2 / 4 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 2 / 4 Next Page
Page Background

OSTTIROLER

NUMMER 7/2015

2

HEIMATBLÄTTER

Kreuzen. Kreuze in Form eines Kruzifixes,

also Kreuze mit der Darstellung des ge-

kreuzigten Christus

4

, lassen sich vermehrt

ab dem 4. Jahrhundert in der christlichen

Kunst nachweisen. Nachdem Kaiser

Konstantin 313 nach dem Mailänder Tole-

ranzedikt das Verbot der christlichen Glau-

bensausübung aufhob, lösten ab diesem

Zeitpunkt große Kreuze die alten römi-

schen Herrschaftszeichen, nämlich die

Kaiserbilder, ab und wurden an deren Stelle

errichtet. Aus diesem Grund standen diese

frühen Kreuze an besonderen Plätzen, denn

sie erfüllten zudem den Zweck – im Sinne

einer christlichen Propaganda – für die

neue Glaubensrichtung, das Christentum,

zu werben. Das Kreuz wurde unter Kon-

stantin zum führenden Heils- und Sieges-

zeichen und zum Inbegriff für den Richter-

stuhl Christi.

5

Auch im Mittelalter, als sich

das Christentum längst etabliert hatte, wur-

den Kreuze immer noch an neuralgischen

Punkten wie an Wegkreuzungen, Straßen,

Brücken, auf Talgründen oder an Wasser-

scheiden, auf Waldpfaden oder inmitten

von Feldern aufgestellt. Und bis spät ins 19.

Jahrhundert erfüllten diese Kreuze immer

eindeutige Funktionen, die auf ihre ur-

sprüngliche Bedeutung als frühchristliches

Heils-, Sieges- und (Gottes-)Gerichtszei-

chen zurückgingen. So waren Wegkreuze

häufig Rechtszeichen, die die Funktion von

Mark- oder Grenzsteinen übernahmen, um

Grenzen eines Hoheitsgebietes oder eines

Eigentums anzuzeigen. Als „bildliche

Grenzbezeichnungen“

6

wurden sie auch am

Anfang einer Ortschaft aufgestellt. Auf

Marktplätzen und an Gerichtsstätten sollten

sie die Einhaltung des öffentlichen Friedens

gewähren und seit dem Frühmittelalter war

es üblich, bei Begräbnisumzügen von be-

kannten Persönlichkeiten an der Stelle des

Weges, wo die Leiche für längere Zeit nie-

dergesetzt wurde, Kreuze aufzustellen.

Ebenso aus dieser Zeit stammen einige noch

erhaltene Kreuze, die anlässlich einer

Straftat errichtet wurden, sogenannte

Sühnekreuze. Dabei musste ein Verurteilter

bei Mord oder Totschlag zum Zeichen sei-

ner Sühne an der Stelle, wo die Tat began-

gen wurde, ein Kreuz, zumeist aus Stein, er-

richten. Noch in dieser Tradition standen ab

dem 17. Jahrhundert auch die unzähligen

Marterln und Totenbretter, die zur Erinne-

rung an plötzlich am Weg Verstorbene und

Verunglückte oder an widerfahrene Wunder

aufgestellt wurden. Bei Pilgerfahrten oder

Prozessionen dienten Wegekreuze oder

Bildstöcke als Ruhepunkte, an denen häufig

Erweiterungen an den Kreuzen, wie

Nischen oder Altarplatten, zur Aufnahme

von Monstranz oder Reliquien zu finden

sind. Daraus entwickelten sich später eigene

Wegkapellen. Erwähnenswert sind weiters

die Wetter- oder Hagelkreuze, die im Glau-

ben an ihre Schutzfunktion vor Unwettern

errichtet wurden.

7

In diesem Zusammen-

hang steht auch das Aufstellen großer Gip-

felkreuze auf Bergen, ein Brauch, der erst

im Zuge des aufkommenden Alpinismus im

19. Jahrhundert auftrat. Hierbei traten

jedoch die Funktionen des Kreuzes wie

Grenzmarkierung und frommes Erinne-

rungszeichen eher in den Hintergrund. Es

war vielmehr die Eroberung der Berge, voll-

zogen zwischen sportlicher Leistung und

technischem Fortschritt. Das Kreuz wird

hier zum Erinnerungszeichen an Erstbe-

steigung oder verunglückte Bergsteiger, und

nicht zuletzt wird es zunehmend zum Ge-

rüst für Messinstrumente.

8

Was lässt sich nun aus den allgemeinen

Ausführungen über Kreuze für das Hof-

kreuz der Familie Unterrainer ableiten?

Diente es lediglich als Schutzzeichen für

Haus und Hof oder war es in Erinnerung an

ein bestimmtes Ereignis errichtet worden?

Oder handelte es sich um eine ursprüngli-

che Grenzmarkierung? Um diese Fragen ei-

nigermaßen beantworten zu können, musste

vorab die Datierung des Kreuzes geklärt

werden, um mit der Recherche nach ent-

sprechenden Quellen beginnen zu können.

Laut Literatur – im Fall dieses Kreuzes

ein Eintrag in der Internet-Datenbank des

Tiroler Kunstkatasters aus dem Jahre 2011

– wurde das Kreuz zunächst ins 18. Jahr-

hundert datiert.

9

Nachdem einschlägige

Dokumente fehlten, wurde hier vermutlich

eine Datierung im Sinne einer Stilanalyse

des Corpus Christi durchgeführt. Ein neuer-

licher Aufruf desselben Datensatzes im Jahr

2014 ergab überraschend eine neue Datie-

rung des Kreuzes und zwar in die erste

Hälfte des 19. Jahrhunderts, genauer von

1800 bis 1849.

10

Warum drei Jahre später

plötzlich eine neue Datierung durchgeführt

wurde, lässt sich aufgrund des Fundes einer

Urkunde vermuten. Es handelt sich dabei

um einen Eintrag in einem Grundkataster

(dem Vorläufer des heutigen Grundsteuer-

katasters) nämlich den sogenannten Stabi-

len Kataster.

11

Das ist ein Verzeichnis in

Form einer Katastermappe, in der alle ver-

messenen Grundstücke (Parzellen) auf

einer Karte graphisch dargestellt wurden.

12

Neben den Parzellen wurden auch sakrale

Kleindenkmale wie Wegkapelle, Bildstock

oder eben – wie in diesem Fall – Wegkreuze

erfasst.

13

Die Karte ist datiert mit dem Jahr

1859, was zwar die Tatsache beweist, dass

das Kreuz zu dieser Zeit am Grund des Un-

terplankerhofes stand, jedoch nicht aus wel-

cher Zeit es stammte. Denn eine erste Stil-

analyse des Kruzifixes vor seiner Renovie-

rung ließ nämlich an eine Datierung vor

dem 19. Jahrhundert denken und nachdem

der Unterplankerhof schon seit 1680 be-

steht, wurde der Versuch unternommen,

nach weiteren Quellen zu suchen, in dem

das Kreuz erwähnt sein könnte. Der erste

Weg führte zu den sogenannten Verfach-

büchern. Denn vor der kartographischen Er-

fassung eines Grundstückes in den Grund-

kataster, den es erst ab dem 19. Jahrhundert

gab, wurde der Besitzstand eines Hofes in

den Verfachbüchern aufgelistet. Darin wur-

den unter anderemVerträge über Rechtsge-

schäfte von Privatpersonen verzeichnet, das

heißt, wurde ein Hof verkauft oder über-

geben, wurde dies in ein Verfachbuch ein-

getragen. Im Eintrag wurde der Besitzstand

zum Zeitpunkt der Übergabe bzw. des Ver-

kaufes einer Liegenschaft aufgelistet. Ver-

fachbücher sind daher wichtige Dokumente

zur Geschichte eines Bauernhofes, und es

gab sie von ca. 1500 bis ca. Ende des 18.

Jahrhunderts.

14

Doch leider blieb die Kon-

sultierung dieser Quellen in Bezug auf das

Unterplanker-Kreuz ergebnislos. Ein wei-

terer Weg führte in das Pfarrarchiv von

Matrei i. O. Hier wurde in den Chroniken

nach einem eventuellen Weihedatum ge-

sucht, leider fand sich auch hier kein ent-

sprechender Eintrag, der Aufschluss über

eine Datierung des Kreuzes gegeben hätte.

Wenn die schriftlichen Quellen fehlen,

endet zwar die Arbeit des Historikers, der

Kenner kann trotzdem den Versuch einer

Datierung wagen. Denn die Renovierungs-

arbeiten am Kreuz boten die Möglichkeit,

eine kunsthistorische Datierung nach for-

malen Kriterien zu unternehmen. Als alle

Fassungsschichten, die den Corpus Christi

bislang überzogen hatten, abgenommen

waren, zeigte sich das „wahre Gesicht“ des

Kreuzes. Die Ausführung des Kopfes mit

der welligen Linienführung von Haaren und

Abb. 2: Zustand des Hauptes vor der Reno-

vierung mit starken Verlusten am Hinterkopf.

Abb. 3: Gesichtsbereich vor der Renovierung

mit Übermalungen.

Fotos: Martin Egger

Abb. 4: Kopf mit eingeleimtem Zirbenholzbrett

für schnitzerische Ergänzung der Fehlstellen.