SCHICKSAL
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JULI/AUGUST 2015
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Die heute 55-Jährige lebt
schon lange nicht mehr im
Pustertal, sondern im Norden
Deutschlands. Sie arbeitet als
Sekretärin in einem Großhan-
delskonzern, lebt getrennt von
dem Vater ihrer zwei Kinder,
liebt Reisen und kann es kaum
glauben, dass sie ihre Freundin
aus Osttiroler Kindertagen nach
einem halben Jahrhundert zu-
einfach unzertrennlich“, erzählt
Bettina, die damals noch einen
dreijährigen Bruder hatte. „Es
war ein sonniger Tag als meine
Freundin und ich mit Fahrrädern
ein bisschen entlang der Straße
fahren durften. Die Fahrräder
waren zwar zu groß für uns, aber
wir probierten eifrig, die Räder
wenigstens ein paar Meter fah-
ren zu können. Meine Mutter saß
dem Moment meine Freundin
mit dem Rad herbei, um meinem
Vater ihre Fahrradkunst zu
präsentieren. Genau in dem
Moment startete auch mein
Bruder auf den Vater zu. Meine
Freundin und er krachten zu-
sammen, wobei mein Bruder mit
dem Kopf auf die Bordsteinkante
krachte und bewusstlos liegen
blieb. Ich kann mich noch gut
fällig in Berlin wieder traf. „Ich
trank gerade in einem Kaffee-
haus einen Kaffee, als eine Dame
mich fragte, ob sie sich zu mir
setzen könne. Es war sonst kein
Platz mehr in dem Lokal frei.
Wir beide kamen ins Gespräch,
verstanden uns auf Anhieb sehr
gut und erzählten uns deshalb
auch mehr von uns privat“, strahlt
Bettina. „Als wir beide auf un-
seren Geburtsort zu sprechen
kamen und feststellten, dass wir
die ersten Jahre unseres Lebens
Tür an Tür gelebt hatten, damals
sogar die besten Freundinnen
waren, trieb es uns Freudenträ-
nen in die Augen. Wir konnten
es kaum fassen, dass wir uns
wieder getroffen hatten. Es war
einfach unglaublich. Wir lagen
uns in den Armen. VomÄußeren
her hätten wir uns ja nicht mehr
erkannt“, erzählt Bettina.
Radikale Trennung
Dass das Wiedersehen so emo-
tional ausfiel, hat seinen Grund:
Bettina und ihre Freundin aus
Kindertagen wurden einst durch
ein schlimmes Ereignis radikal
von einander getrennt. „Wir
waren damals fünf Jahre alt und
in unmittelbarer Nähe und
schaute uns zu.“ Bettina freute
sich schon auf den Vater, der
bald nachhause kommen würde.
„Wir wollten ihm gleich unsere
Fahrkünste präsentieren.“ Es
war gegen Mittag, als der Vater
zu Fuß die Straße heimwärts
marschierte. „Mein Bruder sah
ihn als erstes kommen. Als mein
Vater auf ihn zulief, rauschte in
daran erinnern, wie sekunden-
lang Totenstille herrschte. Dann
schrie meine Mutter los und
mein Vater hob meinen Bruder
auf.“
Keine Chance mehr
Der kleine Bub wollte aber
nicht aufwachen. Die Familie
war sehr in Panik. „Meine Eltern
rasten imAuto mit ihm sofort ins
„Ich weiß noch, dass ich zuerst
gar nicht richtig verstand, was es
heißt, tot zu sein. Ich fragte mei-
nen Vater ein bisschen später,
wann ich denn mit meinem Bru-
der weiterspielen dürfe. Auch
noch Tage danach. Ich begriff es
einfach nicht, dass er nicht mehr
heimkehren wird. Das Begräbnis
meines Bruders war dann der
traurigste Tag meines bisherigen
Lebens“, erzählt Bettina. „Meine
Mutter kniete bebend und schrei-
end vor dem kleinen Sarg, mein
Vater musste sie ständig beruhi-
gen. Auch die Eltern meiner
Freundin und meine Freundin
selbst waren beim Begräbnis.
Ihre Eltern brachen ebenfalls
völlig zusammen. Ich schrie
und weinte auch nur mehr. Es
war unglaublich bitter.“
Umzug
„Ich weiß noch, dass daheim
die Sonne einfach nicht mehr
aufgehen wollte. Noch schwär-
zer wurde der Tag, als meine ge-
liebte Freundin mit ihren Eltern
wegziehen musste. Ihre Eltern
konnten es einfach nicht ver-
kraften, dass ihre Tochter den
Tod meines Bruders ‚verursacht‘
Einmal im Jahr reist Bettina mit dem Zug wieder ins Pustertal.
Manchmal kommt auch ihre „wiedergefundene“ Freundin mit.
Spital. Wir Kinder blieben bei
einer anderen Familie zurück
und waren wie gelähmt.“ Es ver-
gingen viele Stunden bis mein
Vater zu uns Kindern zurück-
kehrte. „Er schaute entsetzlich
traurig und völlig verweint aus.
Er teilte uns mit, dass mein klei-
ner Bruder verstorben ist.“ Er
hatte durch den Sturz ein schwe-
res Schädel-Hirntrauma erlitten.
Wiedersehen nach sch
Bettina S. aus dem Pustertal
traf nach 50 Jahren wieder
auf ihre Freundin aus Kinder-
tagen. Die beiden trennte ein
schwerer Schicksalsschlag,
bei dem ihr kleiner Bruder
ums Leben kam.