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GESCHICHTLICHES
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MÄRZ/APRIL 2015
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„KZ“ aufgemalt waren. Ich er-
hielt noch eine Mütze, Schuhe
und eine Decke. Auf Stube
zwölf übergab man mich dem
Stubenältesten.
Kommissbrot und Fett
Dort übergab man uns ein
Kommissbrot (einfaches, halt-
bares Brot zur Versorgung von
Soldaten) und ein Stück Fett. In
der Stube wurde das Essen auf
zwölf Leute aufgeteilt. Wenn der
Pfiff ertönte, mussten wir auf
dem Gang antreten. Es wurde
abgezählt, dann kehrten wir
wieder in die Stuben zurück.
Nach einem neuen schrillen
Pfiff krochen alle in die Betten.
Der Stubenälteste musste noch
aufbleiben und die genaue Zahl
der Häftlinge melden. Wir muss-
ten dann noch die Füße zeigen.
Es wurde genau kontrolliert, ob
sie auch sauber waren.
Tropfen wurden
aufgeteilt
Am nächsten Tag am frühen
Morgen ertönte wieder die
schrille Pfeife, und eine
Stimme rief: ‚Alles aus den
Betten!‘ Wir liefen ohne Hemd
zum Abwaschen, der Wasch-
raum lag am Ende der Baracke.
Je einer pro Stube musste Kaf-
fee holen und verteilen. Wenn
etwas übrig blieb, erhielt jeder
noch zusätzlich ein paar Trop-
fen. Brot gab es aber erst am
Abend. Es gab die verschie-
densten Lagerstrafen. Die ge-
ringste waren 20 Kniebeugen.
Mann auf dem Bock
An diesem Tag traf es unsere
Stube, den Gang zu putzen. Es
dauerte nicht lange, bis sich
draußen Geschrei erhob. Einer
der Putzer wurde von einigen
Männern in die Stube herein-
geschleift. Die Männer schrien:
‚Der hat Brot gestohlen, wir er-
schlagen ihn, an den Bock mit
ihm.‘ Der Mann wurde auf den
Tisch geworfen, man zog eine
Decke über seinen Körper und
hielt ihn dann an Armen und
Beinen fest. Zwei andere Män-
ner schlugen abwechselnd auf
das Gesäß des Mannes ein. Der
Arme musste selbst laut bis 25
zählen. Anschließend musste er
noch einige Zeit vor seiner Prit-
sche strammstehen.
,Scheißt in die Ecke
wie ein normales
Schwein!‘
Am 26. Dezember wurde uns
mitgeteilt, dass wir in ein ande-
res Lager, nach Hersbruck, ge-
bracht würden. Manche freuten
sich, von hier wegzukommen,
manche jedoch wollten wissen,
in anderen Lagern sei das
verbrachten wir hungernd und
frierend die Nacht. Einmal
heulten die Sirenen. Vielleicht
hat sich mancher von uns auch
gewünscht, von einer Bombe
vom jetzigen und zukünftigen
Elend erlöst zu werden. Für
mich war das Beten das einzige
Mittel, das mir über alles hin-
weghalf.
Ankunft in Hersbrück
Wir waren geschwächt, weil
wir zwei Tage lang weder ge-
gessen noch geschlafen hatten.
Die SS-Männer schrien und
schimpften. Sie schlugen auf
die letzten von uns ein, welche
fast nicht mehr nachkamen.
Jeder vierte Mann bekam dann
einen kleineren runden Brotlaib
mit ein wenig Marmelade. Ich
wurde einer Stube im zweiten
Stock zugeteilt. Um sechs Uhr
früh wurden wir durch einen
schrillen Pfiff geweckt. Alle
rannten ohne Hemd in den
Waschraum, wurde einer mit
dem Hemd erwischt, so erhielt
er eine Lektion. So musste er
beispielsweise alles ausziehen,
wurde dann aus einem
Schlauch mit eiskaltemWasser
abgespritzt und mit einer
Bürste abgebürstet, bis der
Körper blutig war. Oder er
wurde mit einem Gummi-
schlauch so lange geschlagen,
bis der Rücken voller Striemen
war.
Von 69 auf 59 kg
Als ich auf der Waage stand,
erschrak ich: In Schlanders
hatte ich 69 Kilo gewogen, jetzt
nach dreizehn Tagen nur noch
59. Einmal musste ich zusam-
men mit anderen Kameraden
im Lager zurückbleiben, wäh-
rend die anderen zur Arbeit ge-
führt wurden. Von einem SS-
Mann wurden wir hinter ein
Magazin geführt. Dort lag ein
toter Häftling. Wahrscheinlich
war er am Vortag infolge der
schweren Arbeit und des Hun-
gers, vielleicht auch wegen der
schweren Misshandlung ge-
storben. Es handelte sich um
einen 17- bis 18-jährigen Bur-
schen, der stark abgemagert
war. Zusammengekauert und
steif gefroren lag er da.
45 kg und Krätze
Wir wurden abgemessen. Ich
wusste von Schlanders her, dass
ich 1,72 Meter lang war. Jetzt
waren es 1,70. Als ich hörte,
dass ich jetzt 45 Kilogramm
wog, glaubte ich zunächst,
falsch verstanden zu haben.
Dann trat ein anderes Übel auf,
das mich fast zum Verzweifeln
brachte: die Krätze mit einem
furchtbaren Jucken am ganzen
Leben noch schlimmer. Wir
wurden auf Viehwaggons ge-
laden. Obwohl wir sehr eng
beisammen standen und einan-
der etwas wärmten, war es im
Zug doch sehr kalt. Einer
schlug dann mit der Faust an
die Wand und schrie laut, wir
müssten austreten. Von draußen
kam die Antwort: ‚Ihr Schwei-
nehunde, scheißt nur in die
Ecke hin, wie ein normales
Schwein!‘ Wir gaben aber nicht
so schnell auf, und schließlich
wurde doch die Tür aufge-
macht.
Beten als einziges Mittel
Um sieben Uhr abends hielt
der Zug an. Abendessen gab es
natürlich keines. Einige wollten
sich hinlegen, aber das ging
nicht so einfach. Nach länge-
rem Hin und Her hatte jeder
mindestens ein kleines Plätz-
chen zum Hocken gefunden. So
Brief an die Eltern aus dem Jahr 1944: …. „Bitte betet für
mich…“
Fotos: „Edition Raetia“
Viele schreckliche Erlebisse aus den Konzentrationslagern in
Dachau und Hersbruck verarbeitete Franz Thaler malerisch.
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