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Vergebliches Warten
auf Essen
In unserer Zellenreihe wurde
kein Mittagessen verteilt. Ich
hatte wieder viel Zeit zum
Nachdenken. Ich war sicher,
dass Hitler den Krieg verlieren
würde. Mich plagte aber die
Sorge, was sie mit uns machen
würden vor der Befreiung. Die
Heimkehr erschien mir immer
unwahrscheinlicher. Inzwischen
war die Nacht hereingebrochen.
Mit Bärenhunger verschlang
ich mein Abendessen, eine
Rote-Rüben-Suppe.
Angst vor dem
nächsten Tag
Als das Licht ausging, legte
ich mich wieder auf den Boden.
Ich fror, es war ja Winter, und
ich hatte keine Decken. Zur
Kälte gesellte sich noch die
Angst vor dem nächsten Tag.
Ungefähr um 6 Uhr gab es wie-
der Frühstück. Der Kaffee
schmeckte sehr gut, obwohl er
nur ein trübes Wasser aus ge-
brannter Gerste und ohne Zu-
cker war. Das Mittagessen
blieb wieder aus. Am späten
Nachmittag musste ich ein ita-
lienisches Militärgewand an-
ziehen, auf welchem mit wei-
ßer Farbe groß die Buchstaben
und musste den Besen dem
Kollegen geben.
Zurück in der Zelle
Man sperrte das Klapploch
auf und ließ es herunter, sodass
es einen kleinen Tisch dar-
stellte, und legte das Essge-
schirr darauf. Ich nahm das
Essen. Mein Hunger war natür-
lich groß, denn seit ungefähr
8 Uhr hatte ich nichts mehr
gegessen. Fast andächtig ver-
zehrte ich ungefähr einen hal-
ben Liter ganz dünner Erbsen-
suppe. Danach war ich noch
hungriger. Endlich wurde es
dunkel, ich legte mich ohne
Decke auf den Boden und
sprach noch mein Abendgebet.
Dann schlief ich ein. Am
nächsten Morgen hörte ich auf
dem Gang schon die Essens-
verteiler. Man schöpfte mir in
die Aluminiumschale halbvoll
Milchkaffee.
,Verschwinde, sonst ist
der Kaffee auch weg!‘
Ich blieb stehen, weil ich
hoffte, auch noch Brot zu er-
halten. Aber der Mann mit der
Kaffeekanne brüllte mich an:
‚Auf was wartest du noch, etwa
auf das Brot? Verschwinde so-
fort, sonst nehme ich dir auch
noch den Kaffee weg!’ Ein paar
Stunden vergingen. Dann war
Putzen angesagt. Plötzlich
kamen zehn bis zwölf Männer
im Laufschritt herein: kahl ge-
schoren, barfuß, in Hemd und
Unterhose wie ich. Hinter ihnen
liefen zwei SS-Männer, die
immer wieder mit Gummi-
knüppeln auf sie einschlugen.
Aus den Hilferufen und Flüchen
der Geschlagenen erkannte ich
sofort, dass es sich um Italiener
handelte.
Selbst im Winter nur mit Hemd und Unterhose bekleidet und extrem abgemagert fristeten die
KZ-Häftlinge ein menschenunwürdiges Dasein.
Foto: „Edition Raetia“
GESCHICHTLICHES
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MÄRZ/APRIL 2015
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