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PORTRAIT
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PUSTERTALER VOLLTREFFER
NOVEMBER/DEZEMBER 2014
Fèro ist kein Aussteiger im
eigentlichen Sinne. Denn er war
immer schon in der Natur zu-
hause. Als Sohn von Bauersleu-
ten wuchs der Erstgeborene mit
sieben Geschwistern in der Ab-
geschiedenheit der italienischen
Alpen auf. „Mit meiner Arbeit
half ich, die große Familie
durchzubringen. Deshalb durfte
ich nicht länger als fünf Jahre die
Schule besuchen“, erzählt der
sonst recht wortkarge Fèro.
Umso mehr versuchte er die
Weisheiten der Natur zu erken-
nen. „Oft stellte ich mich zwi-
schen die einzelnen Bäume und
betrachtete lange die Zweige, auf
denen die schönsten Äpfel wuch-
sen. Eigenartigerweise befanden
sich diese Äpfel oft auf den dün-
nen, zu Boden gedrückten Ästen.
Wenn ich die Bäume stutzte, ge-
wöhnte ich es mir deswegen an,
die dicken, nach oben wachsen-
den Äste auszusondern. Die jun-
gen Triebe des Vorjahres hinge-
gen zog ich mit Seilen nach
unten, damit sie mehr Keimlinge
entwickelten. Im nächsten Jahr
standen sie dann voll schönster
Früchte. Wie sagt man doch im
Volk: ‚Hegt den Obstbaum und
nicht das Holz‘.“
Ein Narr?
Manche nannten ihn damals
einen Narr. Doch seine Me-
thode entwickelte sich zehn
Jahre später zum allgemeinen
Standard, der bis heute ange-
wendet wird.
Fèro arbeitete solange auf den
Feldern seiner Familie, bis sein
jüngerer Bruder Lorenzo ihn
ersetzen konnte. „Ab diesem
Zeitpunkt begann für mich ein
neues Leben.“ Er ließ den All-
tag des Bauernlebens hinter sich
und verbrachte soviel Zeit wie
möglich als Kräutersammler,
Naturbeobachter, Jäger und
Hirte in der Wildnis. „Es war
mir, als wäre ich zum reichsten
Menschen dieses Planeten ge-
worden. Und das ganz ohne Be-
sitz und ohne Geld. Für was
auch? Die Natur gab mir alles
umsonst. Die Früchte und Kräu-
ter, die Blumen, das Holz zum
Heizen. Also alles Notwendige,
um mich zu ernähren und ein
gutes Leben zu führen.“
Fruchtsalate
aus dem Wald
Waren schon die Pflanzen
und Pilze reichhaltig, so galt
dies noch mehr für die Fische
im nahe gelegenen kleinen
Tovelsee, der von den mächti-
gen Felslandschaften des Sas
Rós, Sasso Alto und der Pietra
Grande umrahmt wird. Als
Jäger ließ er sich später sogar
ab und zu einen Gamsbraten
schmecken. Nachspeise waren
Fruchtsalate aus Wald-Erdbee-
Ein starker, weiser Mann i
Ein besonders spannender Mann lebt am
Tovelsee im Naturpark Adamello-Brenta.
Er ist der einzige in diesem entlegenen
Gebiet: Ferruccio „Fèro“ Valentini. Der
Mittsechziger entschied sich vor langer
Zeit mit und von der Natur zu leben. Doch
seit 2009 die Dolomiten zum UNESCO-
Weltkulturerbe ernannt wurden und laut
Fèro die Natur deshalb immer mehr dem
Tourismus weichen muss, ist er auch ein
Kämpfer für eine intakte Wildnis. Gemein-
sam mit Michael Wachtler (Innichen) ver-
öffentlichte er nun ein Buch über den
Umgang mit der Natur und ihren Schätzen.