Seite 4 - VP_2013_04

Basic HTML-Version

TRADITION
4
PUSTERTALER VOLLTREFFER
AUGUST/SEPTEMBER 2014
Bergrettungs- und Kinderarzt
Dr. Andreas Totschnig saß am
Dienstag vergangener Woche
beim Frühstück auf der Filmoor
Standschützenhütte (Kartitsch,
2.350 m). Er hatte auf der Hütte
übernachtet – mit seinen Kindern
und dem befreundeten Internis-
ten-Ehepaar Hoschek. OA Dr.
Josef Burger (BKH Lienz) hatte
sich schon angekündigt, die Aus-
flügler mit demAuto abzuholen.
Denn das Wetter war schlecht, es
regnete in Strömen, und dichter
Nebel verhängte die Sicht. Doch
dann wurde Totschnig zum Ein-
satz gerufen – in die unmittelbare
Umgebung, denn bei Hüttenwir-
tin Johanna K. setzten in der 24.
Schwangerschaftswoche plötz-
lich Wehen ein.
Heli konnte nicht fliegen
Neben Totschnig eilte auch
das Internisten-Ehepaar sofort
zu Hilfe. Es zeichnete sich ab,
dass der Einsatz sehr schwierig
würde. Denn aufgrund des
Schlechtwetters konnte die
Flugrettungsmannschaft von
„Christophorus 7“ nicht zum
Einsatzort vordringen, die Fil-
moor Standschützenhütte ist nur
zu Fuß erreichbar - lediglich bis
700 Höhenmeter unterhalb der
Hütte gibt es einen Fahrweg.
Das bedeutet, mindestens ein-
einhalb Stunden Fußmarsch
zum Fahrweg. Was tun? Die
mittlerweile alarmierten Berg-
retter eilten sofort mit Bergema-
terial und Notfallmedikamenten
„bergwärts“. Burger, ebenfalls
Bergrettungsarzt, versuchte im
Bezirkskrankenhaus während-
dessen alles Notwendige zu or-
ganisieren, von Wehenhemmern
bis hin zum Geburtenset.
Ein Berg von Materialien
„Es war ein ganzes Auto voll,
das das Krankenhaus unter der
ärztlichen Leitung von Dr. An-
dreas Mayr dankenswerter
Weise sofort bereitstellte.“ Auch
Dienste wurden im Spital sofort
getauscht, damit sich Gynäko-
login Dr. Ljanka Holzknecht auf
den Weg zur unbewirtschafteten
Weitenstall Alm (2.250 m), an
die 15 Minuten von der Filmoor
Standschützenhütte entfernt,
machen konnte. Denn dorthin
musste die Bergrettung, die in-
zwischen mit der Hüttenwirtin
in der Gebirgstrage talwärts un-
terwegs war, ausweichen, nach-
dem die Wehen bei der Frau
immer stärker wurden. Ein spä-
terer Transport zum Fahrweg
war nicht mehr möglich.
Kampf um das Kind
In der Hütte wurden der 30-
Jährigen Wehenhemmer verab-
reicht und zeitgleich ein Medi-
kament, das die Lungenreife
des Ungeborenen beschleunigt
und somit die Überlebens-
chance des Kindes nach der
Frühgeburt erhöht. „Denn in
der 24., Anfang 25. Schwan-
gerschaftswoche sind die Früh-
chen lediglich 400 bis 700
Gramm leicht. Um die volle
Lungenreife zu erreichen, sollte
das Ungeborene nach Verabrei-
chung des Medikaments aber
noch 48 Stunden im Körper der
Mutter bleiben“, erklärt Burger.
Bei der Hüttenwirtin waren al-
lerdings nach acht Stunden die
Wehen so stark, dass sich eine
baldige Geburt ankündigte.
Widrigste Bedingungen
Mittlerweile war Gynäkolo-
gin Holzknecht, eine geübte
Berggeherin, in der winzigen
Hütte eingetroffen. Es gab nur
zwei Räume - aber keinen
Strom. Die Ärzte mussten mit
Stirnlampen arbeiten. Einge-
heizt wurde mit dem Holzherd.
Um kurz vor 18 Uhr war die
Geburt des Buben dann
nicht mehr zu bremsen.
„Die Geburt verlief schnell
und komplikationslos“, in-
formiert Totschnig. Burger
war zu diesem Zeitpunkt
dabei, mit drei Bergrettern,
Isomatten und Schlafsä-
cken zur Hütte zu bringen.
„Wir waren ja darauf vor-
bereitet gewesen, mit der
Mutter und dem Ungeborenen
die Nacht auf der Hütte zu ver-
bringen. Mit solch einer schnel-
len Geburt hatten wir letztend-
lich nicht gerechnet.“
Wetterfenster
Gerade einmal 20 Minuten
nach der Geburt zeigte sich
plötzlich der Wettergott gnädig,
ließ den Nebel lichter werden,
sodass der Rettungshubschrau-
ber mit Pilot Alexander Rassi so-
fort starten und zur Hütte fliegen
konnte. „Das Rettungsteam traf
dann mit Mutter und Kind nach
ca. 15 Minuten auf dem Lande-
platz des BKH Lienz ein. Das
Frühchen wurde dort stabilisiert
und gegen 23 Uhr ins Kranken-
haus Villach geflogen. Wir haben
in Lienz ja keine Neugeborenen-
Intensivstation.“ Die Mutter
wurde am nächsten Tag aus dem
Lienzer Spital entlassen. „Der
Mutter ging es medizinisch ein-
wandfrei“, informiert Presse-
sprecher Dr. Alfred Fast. Der
kleine Bub ist weiterhin stabil.
Er hat im Übrigen eine einein-
halb Jahre alte Schwester, die
sich ebenfalls auf der Hütte be-
fand, als die Wehen einsetzten.
„Wir sind alle heilfroh, dass der
Einsatz so gut verlaufen ist“,
freuen sich die Retter.
Insgesamt standen fünf Ärzte,
24 Mann der Bergrettungen
Obertilliach/Kartitsch, Sillian
und Lienz sowie die Flugrettung
„C 7“ im Einsatz. Martina Holzer
Kinderarzt Dr. Andreas Totschnig, Gynäkologin Dr. Ljanka Holz-
knecht und OA Dr. Josef Burger setzten alle Hebel in Bewegung,
um Mutter und Kind zu retten.
Die Flugrettung nutzte ein
kurzes Wetterfenster, um zur
Hütte zu fliegen.
Die Einsatzkräfte
vor der Weitenstall
Alm, einer unbewirt-
schafteten Hütte.
Fotos: Bergrettung
Obertilliach
Eine Frühgeburt hoch
über Kartitsch forderte
nicht nur Mutter und
Kind, sondern auch
Ärzte, Bergretter und
die Flugrettung sehr. In
der 24. Schwanger-
schaftswoche setzen
bei einer Hüttenpächte-
rin die Wehen ein. Auf-
grund des Schlecht-
wetters gestaltete sich
die Rettungsaktion als
äußerst schwierig.
Medizinischer Kraftakt in den Bergen