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INTERVIEW
PUSTERTALER VOLLTREFFER
AUGUST/SEPTEMBER 2014
21
Der Südtiroler Extrem-
bergsteiger, Abenteu-
rer, Buchautor, Muse-
umsgestalter und ehe-
malige Politiker
Reinhold Messner fei-
ert am 17. September
seinen 70. Geburtstag.
Der Vater von vier Kin-
dern, der bis heute ein
kritischer Geist ist, im
„PVT“-Interview.
Herr Messner, der 70er hat
bei Ihnen „angeklopft“. Sie
sagten immer wieder, dass
Ihnen das Altern schwer fällt.
Haben Sie sich mittlerweile
daran gewöhnt?
Messner:
„... nein, ich ge-
wöhne mich nicht dran. Und
ich bin der Meinung, dass wir
vor allem im Alter unseren
Kopf anstrengen müssen. Ich
werde mir immer wieder Auf-
gaben suchen, die meinem
Alter entsprechen. Aber ich
werde einen Teufel tun, um
nochmals als alter Herr neben
den Jungen herzulaufen, herzu-
klettern, oder in die Wildnis zu
gehen. Ich gehe weiterhin klet-
tern, ich gehe weiterhin in die
über meine Grenzen gegangen
bin, lediglich an meine Gren-
zen. Aber ich kann sie im Laufe
der Jahre natürlich so sehr ver-
schieben, dass die anderen gar
nicht mehr sehen, wo sie über-
haupt liegen. Aber dieses Ver-
schieben kann nur in kleinen
Schritten erfolgen. Bei großen
große Reisen gemacht, bin not-
gedrungen des Öfteren in die
Antarktis rein- und rausgefah-
ren. Aber ich bin kein selbst-
verantwortlicher Seefahrer.“
Warum steigt man auf be-
sonders hohe Berge?
Messner:
„Um zu den Le-
benden zurückzukehren. Denn
Gut, was wir haben. Und wir
haben alle das Recht, wenn
nicht die Verpflichtung, dieses
Leben mit all unseren Gaben,
mit all unserem Können, mit
unserer Kreativität, mit unseren
Fähigkeiten, die uns die Natur
gegeben hat, auszufüllen, aus,
AMEN.“
Hatten Sie jemals die Be-
fürchtung dem Größenwahn
zu verfallen?
Messner:
„Nein, nein. Ich
bin ein Mensch, der sehr stark
mit den Füßen auf dem Boden
steht, sonst wäre ich schon lang
untergegangen. Ich bin fähig,
weite Visionen zu werfen, weit
voraus zu denken, aber meine
Kunst ist nicht Luftschlösser zu
bauen, sondern meine Kunst
ist, Visionen umzusetzen. Das
ist auch mein Erfolg. Ich habe
viele Erstbegehungen gedacht,
und dann gemacht. Und das
Aufregende ist eben die
Spannung zwischen denken
und machen.“
Sie sind immer sehr an Ihre
Grenzen gegangen. Gibt es
DIE größte Erfahrung?
Messner:
„Nein, weil man
Erfahrungen nicht messen
kann. So wie die Zeit. Wir glau-
ben nur, dass wir sie messen
können.“
Höhe, aber nur so weit, wie ich
es ganz locker packe. Ich stehe
mit niemandem in Konkurrenz,
sondern ich bringe das ein, was
ich heute noch an Fähigkeiten
habe und diese sind vor allem
geistiger Natur. Und mir tun die
alten Herrschaften leid, die un-
bedingt noch zeigen wollen,
wie geschickt sie sind, wie
tüchtig sie sind, wenn sie dabei
mehr oder weniger wie ge-
schlagene Hunde hinter den
Jungen herhetzen.“
Aber die Berge werden Ihr
Metier bleiben?
Messner:
„Also, es wird
auch die nächsten Jahre mehr
oder weniger so bleiben, dass
ich am Rande mit den Bergen
zu tun habe. Sprich, ich bleibe
in der Auseinandersetzung
Mensch mit der Natur, mit
der Wildnis. Weil ich eben der
Meinung bin, der Mensch fällt
auf seinen Status in der Stein-
zeit oder früher zurück, wenn er
sich relativ ohne fremde Hilfe
der Natur aussetzt.“
Viele Ihrer Expeditionspart-
ner sind in den Bergen tödlich
verunglückt. Sie haben über-
lebt. Wundern Sie sich, dass
Sie noch leben?
Messner:
„Nein. Weil ich nie
Schritten würde ich einen
schweren Fehler machen und
umkommen.“
Wie sehen Sie die Eigenver-
antwortung der Abenteurer?
Messner:
„Generell gilt für
das Abenteuer, dass wir 100-
prozentig selbst für unser Tun
verantwortlich sind. Die Eigen-
verantwortung ist der Schlüssel
des ganzen Erlebnisses. Wenn
ich ununterbrochen mit dem
Hintergedanken auf den Eve-
rest steige oder durch die
Wüste Gobi wandere, dass im
Notfall schon der Hubschrau-
ber kommt oder der Staat ir-
gendjemanden schickt und
mich raus holt, dann ist das
kein Abenteuer mehr. Aben-
teuer findet statt, wenn ich
Schwierigkeiten akzeptiere, um
sie zu überwinden. Und Expo-
sition hat in erster Linie mit Ei-
genverantwortung zu tun. Nur
irgendwo hin zu gehen und zu
sagen, im Notfall kommt der
Papa oder die Mama oder der
Staat. Das ist ja Kindergarten-
Niveau.“
Interessiert Sie auch das
Meer?
Messner:
„Nein, ich bin da
kein Fachmann. Ich bin ab und
zu am Meer und ich habe da
erst, wenn wir uns der Kälte,
der Angst und Hoffnungslosig-
keit ausgeliefert haben und
wieder wohlbehalten heimge-
kommen sind, spüren wir, wie
wertvoll das Leben ist.“
Sie sind es gewohnt, oft der
Erste zu sein. Ist es für Sie un-
erträglich, der Letzte zu sein?
Messner:
„Nein, nein. Ich
mache meine Sachen meistens
nur so, dass ich eine wesentli-
che Position besetze. Ich hätte
keine Chance, ein Bergmuseum
freiwirtschaftlich zu betreiben,
wenn es nicht das Bergmuseum
wäre. Wenn ich etwas mache,
mache ich es so gut, dass es gut
ist, fertig. Ich stelle sehr hohe
Ansprüche an mich. Und wenn
ich mit Leuten unterwegs bin,
mit Teilnehmern von Expedi-
tionen oder auch mit Mitarbei-
tern, dann will ich, dass sie
auch hohe Ansprüche an sich
stellen. Da gibt es ab und zu
Probleme, aber wenn sie nicht
wollen, müssen sie nicht. Nie-
mand muss mit mir arbeiten.“
Herr Messner, das Leben an
sich, was ist das für Sie?
Messner:
„Das Leben ist un-
sere Chance, das Leben ist uns
geschenkt, das ist das größte
Glauben Sie an Gott?
Messner:
„Was für Andere
Gott ist, ist für mich das Jen-
seitige. Was jenseits meiner Er-
denzeit ist, interessiert mich
aber momentan sehr wenig. Ich
würde das Dasein verschlafen,
wenn ich stets an das Jenseits
denken würde.“
Leben Sie nach einem be-
stimmten Kodex, um in den
„Himmel“ zu kommen?
Messner:
„Nein. Mir ist es
wichtig, intensiv im Jetzt zu
leben. Wenn ich etwas mache,
gebe ich alles an Energien,
Können, Begeisterung. Doch
die allermeisten Menschen sind
heutzutage nicht mehr dazu be-
reit, von sich das Beste zu for-
dern, um ein intensives Leben
zu haben. Sie sind satt und
müde geworden und sagen: Die
Gesellschaft
muss
mir
geben…, der Staat muss mir
geben…, die Firma muss mir
geben….“
Wie gehen Sie in eine neue
Lebensphase?
Messner:
„Ich setze mich
geistig an das Ende meines
Lebens. Dann weiß ich sofort,
was zu tun ist.“
Interview: Martina Holzer
„Dass ich noch lebe, wundert mich nicht“