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PUSCHTRA BUIBM
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JULI/AUGUST 2014
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L i e b e Mamm e ,
da mir die Fremdherrschaft in
unserem Lande nicht gestattet,
an Enkerm Sterbebett und am
Grab zu sein, muss ich meine Ab-
schiedsworte vorlesen lassen.
Der Herrgott hat Enk viel Le-
benszeit gegeben und die große
Gnade erwiesen, das Sterben
und den Tod gelassen anzuneh-
men.
Hineingeboren in die österrei-
chische Kaiserzeit musstet Ihr
den Ersten Weltkrieg erleben, bei
dem Enker Vater am Col di Lana
unsere Heimat gegen den Lan-
desfeind verteidigte. Nach der
Zerreißung unseres Landes
musstet Ihr den italienischen
Faschismus erdulden und seine
entwürdigende und verachtende
Behandlung ertragen. Bald nach
Enkerer Heirat zum Luckner-Hof
begann das Unheil des Zweiten
Weltkrieges, im Laufe dessen
Enkere vier Brüder zur Wehr-
macht einberufen wurden. Hansl
und Robert kamen in Russland
und in Jugoslawien ums Leben.
Als Ältester von drei lebenden
Kindern – das Moidile als Erst-
geborene war kurz nach der Ge-
burt gestorben – war ich ein
kränkliches Büebl. Wie viele
durchwachte und von Sorgen ge-
plagte Nächte Ös wegen mir ver-
bracht habt, weiß der Herrgott
und ich danke Enk dafür! Ich
durfte eine unbeschwerte Kind-
heit erleben und in einer heilen
Familie aufwachsen. Vergelt‘s
Gott!
Als Jugendlicher wurde ich ge-
wahr, dass es um meine fremd
besetzte Heimat sehr schlecht
stand. Bei waghalsigen Wider-
stands-Aktionen vor der Feuer-
nacht habt Ös mir geholfen ver-
botene Tirolerfahnen zu färben
und zusammen zu nähen. Oft
habt Ös halbe Nächte lang ge-
bangt, ob ich wohl von solchen
Aktionen unentdeckt heimkom-
men werde. Ich danke dafür.
Dann kam der denkwürdige
12. Juni 1961, es sind genau 51
Jahre her. Ich habe mich mit mei-
nen Kameraden entschlossen,
gegen das Unrecht gewaltsam
Widerstand zu leisten und mein
Elternhaus zu verlassen. Meinen
Lebtag werde ich Enkere trauri-
gen und ängstlichen Augen
sehen, als Ös mir das Kreuz auf
die Stirne zeichnetet‘s und mit
tränenerstickter Stimme sagtet:
„Zwei meiner Brüder kamen im
Krieg ums Leben. Nun muss ich
mich auch noch um dich sorgen,
daß dir Gleiches geschieht. So
geh halt in Gottes Namen. Das
göttliche Herz Jesu möge dich
beschützen“.
Die folgenden sechs Jahre
waren für Enk und die Familie
eine schwere Belastung. Jedes
Mal wenn der Donnerhall unse-
rer Widerstandsaktionen durch
unsere Täler rollte oder lange
Schießereien zu hören waren,
habt Ös ängstlich zusammenge-
zuckt und gebetet. Wie viele Trä-
nen habt Ös mit Tate und meinen
Geschwistern vergossen, wenn
zu Weihnachten mein Platz in der
Stube leer blieb! Möge Enk der
Herrgott die Opfer für die Hei-
mat vielfach vergelten.
Ich sage in Dankbarkeit für
Alles Vergelt’s Gott und lasse –
da ich selber nicht hier sein kann
– durch meine Enkelbuben, sie
sind schon aktive Mitglieder der
Schützenkompanie Prutz, einen
Strauß Alpenrosen auf Enkern
Sarg legen.
Enker Seppl
Grabrede von Freiheitskämpfer
Josef Forer für seine Mutter
Josef Forer als kleiner Bub mit seinen
Eltern auf dem Oberlucknerhof.
fahren. Der Satz ‚Einmal ist für
alles ein letztes Mal’ bekommt
in so einem Fall eine ganz an-
dere, traurige, brutale Dimen-
sion.“
Wie ging es Maria Forer bei
Ihrem Gespräch?
Duregger:
„Trotz hohen Al-
ters war ihr Gedächtnis erstaun-
lich frisch. Sie war ein wacher
Geist, hat viel gelacht und ab
und zu flossen auch Tränen,
wenn sie auf früher zu sprechen
kam. Sie hat mir von ihrer
Kindheit erzählt und vom Cha-
rakter ihres Sohnes Josef, vom
Leben auf dem Hof und wie sie
es damals erlebt hat, als Josef
‚aktiv’ wurde. Die Geschichte
mit den Bienen hat mich beson-
ders beeindruckt. Josef hatte
sich ja zuhause in Mühlen Bie-
nen angeschafft, und als er weg
war, hat sie der Vater verkauft.
Wenn ich Josef Forer zum Ge-
spräch in Ladis getroffen habe,
hat er mir immer ein Glas Bie-
nenhonig geschenkt. Die Bie-
nen bzw. die Bienenhütte, die
nun leer stand, waren beim
Oberlucknerhof immer der
sprichwörtliche Stachel, der
weh tat, weil einem bewusst
wurde, dass einer fehlt. Das hat
mich besonders berührt.“
Interview: Martina Holzer