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traute Menschen vor Augen zu stellen und
die damit verbundene Abhängigkeit vom
Modell provozierten wie von selbst auch
die Frage nach dessen Identität. Heinrich
Hammer, der in seiner Defregger-Mono-
grafie nicht näher auf das Altarbild ein-
geht, bringt das Problem und Defreggers
Lösung in anderem Zusammenhang auf
den Punkt. In seiner Beschreibung des um
1880 gemalten Bildnisses einer jungen
Witwe heißt es:
„Allen bisherigen Bild-
nissen gegenüber, die uns durch individu-
elle Züge als unmittelbar porträtgetreu er-
scheinen, treffen wir bei dieser ‚jungen
Witwe‘ auf eine Ebenmäßigkeit und Allge-
meinheit der Formen, die das Bildnis in die
Sphäre idealisierter Menschendarstellung
hinüberrücken.“
Es sei auffällig,
„wie sehr
die Züge dieser stolzen Frau der Madonna
auf dem Altarbilde gleichen. Vielleicht hat
sie ihm schon damals als Modell ge-
dient.“
18
Anmerkungen:
1
Ernst H. G
OMBRICH
, Visuelle Entdeckungen durch die
Kunst, in: Bild und Auge, Stuttgart, 1984, S. 21f.
2
Eine ausgezeichnete Zusammenfassung gibt Theodor
H
ETZER
, Rubens und Rembrandt, Mittenwald-Stuttgart
1984, S. 34-38.
3
Franz v. D
EFREGGER
, Lebenserinnerungen. Ungedruck-
tes maschinschriftliches Manuskript, 42 Seiten, o. J.,
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, FB
58.486, S. 5-7.
4
Albin E
GGER
-L
IENZ
, Defregger und sein Können, abge-
druckt in: Wilfried K
IRSCHL
, Albin Egger-Lienz. Das
Gesamtwerk, Bd. II, Wien-München 1996, S. 671f.
5
Österreichische Kunsttopographie Bd. LVII. Die Kunst-
denkmäler des politischen Bezirkes Lienz, Teil I, Horn
2007, S. 481.
6
Österreichische Kunsttopographie (wie Anm. 5), S. 488.
7
Hans Peter D
EFREGGER
, Defregger, Rosenheim 1983, S. 13 f.
8
Franz v. D
EFREGGER
, Brief an Dominikus Stadler vom
19. März 1869, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum,
Bibliothek, W 5212/II, 101.
9
Aus meiner Reisemappe, in: Bote für Tirol und Vorarl-
berg, 57. Jg. (1871), Nr. 120, S. 858.
10
Vgl. Hans Peter D
EFREGGER
(wie Anm. 7.), Werkver-
zeichnis S. 323 u. 362.
11
Franz v. D
EFREGGER
, Lebenserinnerungen (wie Anm. 3),
S. 27 u. 29.
12
Carl Conte S
CAPINELLI
, Franz von Defregger (zu seinem
70. Geburtstag), in: Die Christliche Kunst, Jg. XVI,
(1905), S. 145 f.
13
Albin E
GGER
-L
IENZ
(wie Anm. 4), S. 672.
14
Lois E
BNER
/Rudolf I
NGRUBER
, Albin Egger-Lienz in
Lienz, Lienz 1995, S. 12.
15
Aus meiner Reisemappe (wie Anm. 9).
16
So z. B. Adolf R
OSENBERG
, Defregger. Künstlermono-
graphien, 3. Aufl., Leipzig 1911, S. 3 f.
17
Thomas P
UTTFARKEN
, Tizians Pesaro-Madonna. Maß-
stab und Bildwirkung, in: Wolfgang K
EMP
(Hrsg.),
Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und
Rezeptionsästhetik, Hamburg 1992, S. 94-122.
18
Heinrich H
AMMER
, Franz v. Defregger, Innsbruck 1940,
S. 71.
OSTTIROLER
NUMMER 12/2013
4
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer:
Mag. Rudolf Ingruber, A-9900 Lienz, Ruefen-
feldweg 2 b.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Tizian, Madonna des Hauses Pesaro; Öl auf Leinwand, 720 x 485 cm,
1519/1526.
(Venedig, Santa Maria Gloriosa dei Frari)
Bis zu diesem Gemälde war es üblich, die Madonna in der Mitte
einer Altartafel zu zeigen. Dass Tizian sie aus dem Zentrum des
Bildes an den Bildrand rückte, war eine revolutionäre Modifizie-
rung der traditionellen Bildstruktur, die vor allem im Barock zahl-
reiche Nachahmer fand. Ebenso ungewöhnlich musste für die
Venezianer seiner Zeit die prominente Stellung der Auftraggeber auf
einem Altar sein. Der bedeutendste Vertreter der Familie Pesaro,
Jacopo, der Bischof von Paphos, kniet direkt vor der Madonna,
während seine Brüder mit ihren Söhnen ihm gegenüber erscheinen.
Stifterbildnisse waren andernorts durchaus üblich, wurden aber in
Venedig wohl aus politischen Gründen auf Altären eher vermieden.
Giovanni Bellini, Sacra Conversazione; Öl (?) auf Holz, auf Lein-
wand übertragen, 500 x 235 cm, 1505. (Venedig, San Zaccaria)
Ruhig und in sich versunken stehen die schönfarbigen, in volu-
minöse Gewänder gehüllten Heiligen um den Thron der Madonna.
Besonders die männlichen Figuren sind gut vergleichbar mit dem
Hl. Petrus in dem Gemälde „Jacopo Pesaro wird dem H. Petrus
von Papst Alexander VI. präsentiert“.
Beide Aufnahmen entnommen der Publikation von Mario Kaminski,
Tizian, Köln 1998.