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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
67. Jahrgang –– Nummer 12
Lehen die Rechtsbasis, um legitime
Gewalt über Land und Leute auszuüben:
Die albertinischen Görzer waren Lehen-
vasallen der Herzöge von Kärnten, des
Patriarchen von Aquileia (und in deren
Nachfolge der Republik Venedig), der
Erzbischöfe von Salzburg, der Bischöfe
von Brixen, Freising, Bamberg, Triest,
Porec/Parenzo, Novigrad/Cittanova, Pi´can/
Pedena, Pula/Pola. Weiters beanspruchten
die Görzer finanziell einträgliche Hoheits-
rechte, wie sie nur Fürsten und Landes-
herren zustanden: das Zollregal (Lienz,
Oberdrauburg, Latisana), das Straßenregal
etwa über den Plöckenpaß nach Friaul
oder das Geleitrecht durch das Kanaltal
und Pontebba, das Münzregal (Münzstät-
ten in Görz, Lienz, Obervellach und Lati-
sana) sowie das Bergregal.
Alles in allem schwebte dieser görzische
Territorialkomplex stets im Zustand einer
kritischen Masse. Ein Zerfall war in ihm
angelegt. Er war zerrissen in drei oder vier
größere Länderbrocken, die wiederum in
sich wenig geschlossen waren, getrennt
durch Gebirge, Hoch- und Tiefebenen.
Das lud potenzielle Aggressoren geradezu
ein, sich da und dort etwas anzueignen.
Dass die Görzer über Deutsche, Slawen
und Romanen herrschten, Regionen mit
unterschiedlichen Rechts-, Sozial- und
Wirtschaftsstrukturen zu verwalten hatten,
war im Mittelalter weniger von Belang.
Zusammengehalten wurde das Ganze
durch den regierenden Fürsten aus dem
Hause Görz und einer schmalen Schicht
von Dienstadel oder Beamten. Ein Landes-
bewusstsein, getragen von gemeinsam
agierenden Landständen, hat sich zaghaft
erst im späten 15. Jahrhundert abgezeich-
net. Die territoriale Zerrissenheit der gör-
zischen Länder sowie der Umstand, dass
die ihnen zugrundeliegenden Herr-
schaftsrechte aus vielen und unterschied-
lichen Feudalrechten sich ableiteten, un-
terbanden die Entwicklung hin zum Terri-
torialstaat, wie sie ringsum vor sich ging,
ja sie erschwerten selbst eine einheitliche
Namensgebung. Von Fall zu Fall begnüg-
ten sich die Görzer und ihre Vertragspart-
ner, die Herrschaften einzeln aufzu-
zählen. Summarische Umschreibungen
wie Grafschaft Görz oder Vordere Graf-
schaft Görz für die pustertalischen und
kärntnerischen Besitzungen und Hintere
oder Innere Grafschaft Görz für die Herr-
schaften in Friaul und im Karst haben sich
erst spät eingebürgert und sind von den
Zeitgenossen selten verwendet worden.
Dass die Görzer ihre Herrschaft auf alten,
wenn auch verblassenden Feudalrechten
fundierten, haben die Gegner der Görzer
sie in demütigender Absicht spüren lassen,
die Habsburger als Reichsoberhäupter und
Herzöge von Kärnten, die Republik Vene-
dig als Nachfolgerin der weltlichen Herr-
schaft des Patriarchats Aquileia.
Warum gerieten gerade die Görzer in
das Visier der Habsburger? Als Königs-
geschlecht mussten die Habsburger ihre
Hausmacht, ihre territoriale Basis unbe-
dingt erweitern, um nicht ihrerseits Gefahr
zu laufen, marginalisiert zu werden. Die
Macht des Königs und Kaisers war nur so
viel wert, als er – bildlich gesprochen –
eigene Legionen zählte. Im 14. Jahrhundert
war es, aus Habsburgs Perspektive, am
leichtesten nach Westen und Südwesten zu
expandieren, hier war geringerer Wider-
stand zu erwarten, die Territorialbildung
zum Teil noch im Fluß. Außerdem reizte
die Habsburger die Chance, die Lücke
zwischen ihren österreichischen Ländern
und ihren schweizerisch-schwäbischen
Stammlanden zu schließen. Gleich bei der
ersten sich bietenden Möglichkeit griffen
sie zu. 1335 starb mit König Heinrich,
dem Sohn Meinhards II., die Tiroler Linie
der Görzer im Mannesstamm aus. Im Zu-
sammenwirken mit den Wittelsbachern,
die mit Ludwig IV. den Kaiser stellten,
schufen sie ein Fait accompli: Das Her-
zogtum Kärnten wurde als Reichslehen
eingezogen und den Habsburgern verlie-
hen. Damit hatten die albertinischen Gör-
zer die Habsburger in Kärnten direkt vor
ihrer Haustür, ebenso in der Krain. Die in
diesen Handel einbezogene Teilung der
Grafschaft Tirol zwischen Habsburg und
Wittelsbach konnte verhindert werden,
Briefliche Nachricht Graf Leonhards von Görz an seinen Bruder Johann vom Jänner
1460. Es wird angenommen, dass er diese Zeilen selbst niedergeschrieben hat.
(Tiroler Landesarchiv, Innsbruck, Sigmundiana XVI)
aber schon sauste der nächste Schlag auf
die Görzer nieder. Margarete Maultasch,
Tochter und Erbin König Heinrichs, waren
Mann und Sohn weggestorben, und dem
diplomatischen Geschick und der militäri-
schen Tatkraft Herzog Rudolfs des Stifters
war es zu verdanken, daß Margarete 1363
ihre Grafschaft den Habsburgern über-
schrieb. Damit waren die Görzer im Nor-
den zwischen den habsburgischen Ländern
Kärnten und Tirol eingeklemmt. Es
brauchte nicht viel Phantasie, um sich aus-
zumalen, welche Intentionen die Habs-
burger als nächste hegten. Aber selbst im
Süden war den Görzern wenig Ruhe
gegönnt. In der Krain hatten die Görzer die
Habsburger als unmittelbare Nachbarn
neben sich, die offensichtlich bemüht waren,
sich einen Zugang zur Adria zu verschaf-
fen. Dabei konnten, ungewollt, die Görzer
behilflich sein. Das geostrategische Un-
glück der Görzer, im Norden wie im Süden
den Habsburgern im Weg zu sein, war
noch nicht voll. Mit dem schwächlichen
Patriarchat Aquileia hatten die Grafen her-
umjonglieren können, wie ihnen beliebte.
Im 14. Jahrhundert arbeitete sich die Re-
publik Venedig im heftigen Bemühen, den
oberadriatischen Raum zu kontrollieren,
Richtung Osten und Norden vor. Mit dem
Stadtstaat erwuchs den Görzern ein un-
gleich mächtigerer Nachbar und Kontra-
hent als die aquileinsischen Bischöfe. In
Rivalität zu den Habsburgern trat Venedig
in die weltlichen Fußstapfen des Patriar-
chats. 1420 machte die Serenissima dem
geistlichen Fürstentum Aquileia den Gar-
aus und vereinnahmte dessen Territorium.
Jetzt prallten in Friaul die Machtinteressen
von Habsburg und Venedig direkt aufein-
ander, dazwischen stand Görz als Puffer.
Militärisch gegen die Görzer vorzugehen
versagten sich die Habsburger, dazu fehl-
te jener willkommene Anlass, der einen
solchen Rechts- und Friedensbruch hätte
kaschieren können, vor allem hätte das die
habsburgischen Gegner und Konkurren-
ten, allen voran die Luxemburger und
Venedig, auf den Plan gerufen. Beschritten
wurde der Weg der Diplomatie, den Gör-
zern wurden Erbverträge förmlich aufge-
drängt und abgepresst. Die Politik des
langsamen Einschnürens schien erfolg-
versprechend, weil sich die Görzer durch
Hausteilungen selbst schwächten. Das
Erbe ihres Vaters Albert I. von Görz teilten
Heinrich II. und Albert II. 1303 und 1307.
Die drei Söhne des letzteren – Albert III.,
Meinhard VI. und Heinrich III. – verein-
barten 1342 eine Herrschaftsteilung. Dass
durch derartige Transaktionen – zeitweise
existierten vier görzische Höfe nebenein-
ander – der Besitz im Laufe der Jahre nicht
atomisiert worden ist, hat einen banalen
biologischen Grund. Bis auf die von Mein-
hard VI. ausgehende sind alle anderen
Linien der Görzer, spätestens in der zweiten
Generation, im Mannesstamm erloschen.
In den späten Regierungsjahren Meinhards
VI., unter seinem Sohn Heinrich IV. und
seinen Enkeln Johann und Leonhard
waren die görzischen Stammlande immer
vereint oder wurden zur gesamten Hand
regiert. Nur in einem Fall hatte sich das
lange und vertraglich abgesicherte Zuwar-
ten der Habsburger gelohnt: Der Besitz des