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Nummer 1/2001
69. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Zeithistorische Einführung
Abseits der ersten Verdunkelungsaktio-
nen gleich zu Beginn des Zweiten Welt-
kriegs im September 1939 war Osttirol,
der „Kreis Lienz“ des „Gaues Kärnten“,
lange Zeit Überflugs- und Bombennot-
abwurfsgebiet der US-Luftwaffe sowie
Zufluchtsort für Bombenflüchtlinge aus
dem Gau Essen. Mit dem Beginn der
„Brennerschlacht“ im November 1944
folgten dann aber die ersten Bomben-
angriffe auf die Pustertalbahn Lienz-Sil-
lian-Franzensfeste und ab Anfang 1945
vermehrt Tieffliegerangriffe. Die heftig-
sten Attacken sollten Lienz am
19. und 26. April 1945 treffen und
dabei Bahnhof wie „Adolf-Hitler-Platz“
(Hauptplatz) fast vollständig zerstören.
Insgesamt forderte der Bombenkrieg in
Osttirol 18 Menschenleben.
Doch bereits der Sommer 1943 – mit dem
Vorstoß der Westalliierten nach Sizilien im
Juli, dem Kriegsaustritt Italiens, dem um-
gehenden dortigen Einmarsch der Deut-
schen Wehrmacht und der Landung der Bri-
ten und US-Amerikaner in Salerno Anfang
September – hatte eine neue Entwicklung
an der sogenannten NS-„Heimatfront“ ge-
bracht: die gezielte Inangriffnahme von
Luftschutzbauten. Daneben wurde die
Flak-Verteidigung verstärkt und aus Schü-
lern Luftwaffenhelfer gemacht. Die Errich-
tung einer zweiten Luftfront (neben Eng-
land) war nun nur mehr eine Frage der Zeit,
sodass auch in Osttirol eine Unzahl an Kel-
lern zu Luftschutzräumen umfunktioniert
bzw. beim Fehlen derselben neue „Splitter-
schutz- und Deckungsgräben“ ausgehoben
wurden. Die Maßnahmen konzentrierten
sich vor allem auf die an der Bahnlinie ge-
legenen und dadurch besonders gefährdeten
Orte Lienz und Sillian. In der Kreisstadt
fungierte Bürgermeister Emil Winkler als
örtlicher Luftschutzleiter und war auch für
die Finanzierungsangelegenheiten zustän-
dig. Generell regelten in Kärnten zwei Be-
kanntmachungen von Gauleiter und
Reichsstatthalter Friedrich Rainer den
„Bau von Deckungsgräben“ (16. Mai
1943) und den „behelfsmäßigen Ausbau der
Luftschutzräume“ (10. August 1943).
Das Amt des damaligen Lienzer Land-
rats Fritz Petritsch wurde im Septem-
ber/Oktober 1943 mit dementsprechenden
Anträgen nahezu „bombardiert“, ob es
sich nun etwa um das Dominikanerinnen-
kloster oder die Geheime Staatspolizei am
„Rechten Iselweg“ handelte. Im letzteren
Fall dauerte es bis zum Oktober 1944, ehe
der durch die vielen Arbeiten überlastete
Maurermeister Johann Lackner den ge-
wünschten Notausstieg hergestellt und das
Fenstergitter eingesetzt hatte. Insgesamt
betrug die Zahl der Anträge und positiven
Bescheide allein in Lienz über 200!
Das vorliegende untersuchte Beispiel ist
ein sogenannter „Deckungsgraben“ in der
Lienzer Siedlerstraße 1, also ein extra im
Garten ausgehobener, unterirdisch ange-
legter Luftschutzraum, der mehreren Per-
sonen Schutz bieten sollte. Zeitlich dürfte
wohl auch hier ein Bescheid Landrat Pe-
tritschs vom 13. September 1943 ergangen
sein: wie beim benachbarten Deckungs-
graben Johann Oberforchers, Siedler-
straße 2, oder jenem Gotthard Grögers,
Oberer Siedlerweg 1. Diese „Bunker“ sind
zum Teil noch immer erhalten (vereinzelt
funktionell umgestaltet), und erstmals
wurde hier der Versuch einer zoolo-
gisch/entomologischen Analyse unter-
nommen, um festzustellen, was dort nach
50 Jahren so „kreucht und fleucht“!
Quellen zur Geschichte und weiterfüh-
rende Literatur:
Tiroler Landesarchiv, Bezirkshaupt-
mannschaft Lienz, Fasz. 47/1943 (Ober-
forcher 297/43, Gröger 298/43).
Alois Kofler und Martin Kofler – Naturkundliche Raritäten aus Osttirol
Tiere in einem ehemaligen NS-„Luft-
schutzraum“ in Lienz 1943/1999
Heute noch erhaltener Betonbunker („Luftschutzraum“) aus der NS-Zeit im Garten des
Hauses Siedlerstraße 1 in Lienz.
Alle Fotos: Alois Kofler