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an Gäste von weiß Gott woher war Karl
von Thieme nicht angewiesen. Das
Schloss bevölkerten im Sommer Mitglie-
der der eigenen Familie, Bekannte und Ge-
schäftsfreunde.
Am meisten Aufsehen in Matrei dürfte
der Besuch des Königs August von Sach-
sen erregt haben, der vom 18. Juli bis 4.
August 1910 mit Frau, den sechs Kindern,
dem Hofkaplan Bstieler und gleich 13 Per-
sonen Gefolge im Schloss auf Sommerfri-
sche weilte. Wie aus der noch vorhande-
nen Rechnung des Natalis Obwexer an den
„Hochwohlgeborenen Herrn Generaldi-
rektor Karl von Thieme“ hervorgeht, muss
der Empfang ziemlich feierlich gewesen
sein. Die Musikanten und die Böllerschie-
ßer, zusammen 31 Mann, bekamen nach
dem Auftritt vor dem Schloss beim Rauter
ein Essen, das pro Mann immerhin eine
Krone 80 Heller kostete und sie tranken
zusammen gleich 31 Liter Bier zu 46
Kreuzer. Das Essen für die acht Laternen-
träger kam etwas billiger, ebenso deren
Getränke. Insgesamt kostete der Empfang
83 Kronen 16 Heller. Vier Jahre später,
kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkrie-
ges, kam König August ein zweitesmal
nach Matrei.
Bedienstete im Schloss, der Bau des
Fuhrweges auf den Stein, des Saumweges
auf die Steiner Alm, das Sommerhaus dort,
der Bau des Thiemeweges ins Zedlacher
Paradies, die Teilfinanzierung des
Klammweges, Renovierungs- und Erhal-
tungsarbeiten im und um das Schloss
u. a. m. schufen den Sommer über so man-
chen Arbeitsplatz und brachte Hilfe in
einer Notzeit für manche Matreier Fami-
lien. Auch auf karitativer Ebene mag der
sozial denkende vornehme Mann tätig ge-
wesen sein, ohne solche Hilfen auf die
große Glocke zu hängen.
Mit Stallungen, Pferden, Maultieren,
Kutschen und Wagen gab sich Karl von
Thieme nicht ab. Alle Transporte von Per-
sonen und Waren nach und von Lienz
wurden von der Spedition Obwexer, die ja
auch den Stellwagenverkehr über hatte,
durchgeführt. Allein im Juli 1911 betrugen
diese Transportkosten 360 Kronen.
So herrschte über ein halbes Jahrhundert
in den Sommermonaten ein reges Leben
und Treiben, Lachen und Freude auf
Schloss Weißenstein, das plötzlich mit Be-
ginn des Ersten Weltkrieges abriss und
verstummte.
Auch nach Kriegsende 1918 dauerte es
noch Jahre, bis wieder Leben ins Schloss
einzog.
Karl von Thieme war inzwischen ein
alter Mann geworden und starb am 10.
Oktober 1924 im 91. Lebensjahr. Bereits
drei Jahre vorher hatte er nun endgültig
und grundbücherlich abgesichert den
Kauf des Schlosses veranlasst. Als Käufe-
rin setzte er seine zweite viel jüngere Frau
ein. Verkäufer Adalbert Baron Mengers-
hausen erhielt als Kaufpreis für das
Schloss und alle dazugehörenden Gründe
28.000 DM. Dieser Betrag war bei der Er-
richtung des Vertrages am 1. Juni 1921 be-
reits bezahlt.
In den folgenden Jahren bis zum Beginn
des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945)
wurde das Schloss unter der Obhut Else
von Thieme wieder bewirtschaftet.
Neben Familienmitgliedern, Freunden
und Bekannten verbrachten auch andere
Gäste aus dem In- und Ausland Urlaubs-
tage im Schloss.
Die letzten Jahrzehnte
1948 vererbte Else von Thieme Schloss
Weißenstein
mit
dazugehörendem
Grundbesitz zu je einem Drittelanteil an
die Kinder:
Hermann Thieme, Else Hutchinson
geb. Thieme, Margarethe Schnackenberg
geb. Thieme.
Diese vererbten ihre Drittelanteile weiter:
Am 28. August 1971 übernahm laut
Übergabevertrag Christian Albert Lange
den Drittelanteil der Margarethe Schna-
ckenberg geb. Thieme.
Am 21. Dezember 1972 geht das
Eigentumsrecht des Drittelanteils der
Else Hutchinson geb. Thieme an Kay
Thieme über.
Am 2. Juli 1974 überlässt Hermann
Thieme, laut Übergabevertrag seinen Drit-
telanteil dem Klaviervirtuosen Jörg Demus.
Während sich die Familie Lange und
Jörg Demus nur gelegentlich im Sommer
in Matrei aufhalten, bewohnt Herr Kay
Thieme das Schloss – meist allein – ganz-
jährig.
Wie bei vielen Schlössern in Österreich
stellt sich auch bei einem der Wahrzeichen
Matreis die Frage der bei Burgen fast
immer sehr aufwändigen Erhaltung. Das
Glück wie etwa Schloss Bruck, die Burg in
Brixen oder Schloss Goldegg im Pongau,
dass dort eine Landesausstellung durchge-
führt und dabei die Bauten mit öffent-
lichen Mitteln saniert werden, hat Matrei
leider nicht. So wird man andere Wege
suchen müssen, um wenigstens die Bau-
substanz des Kleinods im hinteren Iseltal
für die nächsten Generationen zu erhalten.
Vielleicht wäre das Erlebniszentrum Na-
tionalpark Tirol eine Lösung?
Quellen:
Werbebroschüre Schlossbad Weißenstein, zur Verfü-
gung gestellt von H. Kay Thieme.
Grundbuchamt Matrei i. O. mit Dank an Herrn He-
chenblaikner für die bereitwillige Hilfestellung.
Tiroler Landesarchiv Innsbruck – Verfachbuchabteilung.
Komm.-Rat. Hermann Obwexer Inform. Karl v.
Thieme.
Fotoarchiv der Marktgemeinde Matrei i. O., Alex. Brug-
ger.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
69. Jahrgang –– Nummer 6
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer:
Volksschuldirektor i. R. Siegmund Kurzthaler,
Sonnenhang 3, A-9971 Matrei i. O.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Piz-
zinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Generaldirektor Dr. h.c. von Thieme – Fo-
tograf unbekannt.
Teil des Parks mit Seinitzerturm, der zu den ältesten Teilen des Schlosses gehört.
Foto: Lottersberger