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Dem Besucher der unweit von Mühlbach
in Südtirol gelegenen Burg Rodeneck wird
neben den Baulichkeiten, den großartigen
Fresken und sonstigem Sehenswerten auch
das Gefängnis des angeblichen Zauberers
„Lauterfresser“ gezeigt.
Der aus weiterer Ferne Angereiste ist
damit zum ersten Male mit einer Person
konfrontiert, die den näher Beheimateten
aus der Sagenwelt durchaus vertraut ist. Der
Lauterfresser ist dort als Wettermacher und
vielseitiger Zauberkünstler gegenwärtig,
der einmal angeblich sogar den Antholzer
See auslassen wollte. Allerdings war es
dabei, wie sich heute noch Jedermann über-
zeugen kann, beim Wollen geblieben. Mit-
unter blitzen in diesen Sagen aber auch
schalkhafte Züge auf, die den „Zauberer“ in
einem milderen Licht erscheinen lassen.
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Fremden wie Einheimischen ist aber viel-
fach unbekannt, dass sich hinter dieser
sagenumwobenen Gestalt ein tragisches
Schicksal verbirgt, das in jenen in vieler
Hinsicht unruhigen Zeiten wurzelt, in
deren Bewegtheit es vielleicht bewusst oder
unbewusst verstrickt war.
Diesen Menschen gab es also tatsächlich.
Er hieß Mathias Perger und wurde in
Tschötsch, unweit von Brixen geboren. Sein
Vater kam aus Virgen in Osttirol und hatte
in den südlichen Landesteil geheiratet.
Der Sohn, der dieser Ehe entstammte, trat
aber in seinem Leben mehrmals wieder mit
Osttirol in möglicherweise bedeutsame Be-
ziehung.
Den Beinamen „Lauterfresser“ verdankte
er angeblich seiner Vorliebe für „Lauteres“
(Suppen, Mus). Was aber die Ursache dieser
Vorliebe gewesen sein sollte, etwa eine ab-
norme Kieferstellung, kranke Zähne, oder
überzeugtes Vegetariertum oder einfach eine
Marotte, wird nirgends erwähnt. Nur ein ein-
ziges Mal wird festgestellt, dass er „hart“
spreche. Was darunter zu verstehen ist, muss
offen bleiben. Vielleicht hatte diese Be-
zeichnung aber ganz andere Gründe, die
nichts mit der Nahrungsaufnahme zu tun hat-
ten. Wir wissen es nicht und es wird wohl
immer bei Vermutungen bleiben müssen.
Was wir über seine Kindheit und Jugend
wissen, stammt aus den Prozessakten, die in
zweifacher Ausführung vorliegen.
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Zunächst ein Akt, der im Pfarrarchiv
Rodeneck liegt, dessen Aufschrift lautet:
„Hexenprocess des Mathias Berger, ge-
nannt Lauterfrößer oder auch Lauterer, item
Marcolfus vom Jahr 1645 gezogen aus den
Originalacten des Schloßes Rodeneck, die
der Gefertigte selbst eingesehen hat. – Karl
Blitzburg, Pfarrer“.
Daneben der zweite, der „Mühlbacher
Akt“, der sich bis 1874 im Besitz der Mühl-
bacher Patrizierfamilie Steger befand und
nun im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck
aufbewahrt wird.
Aus den darin aufgezeichneten Befragun-
gen lässt sich ein für damalige Zeiten all-
täglicher Jugendverlauf der ärmlichen Be-
völkerung erkennen, eine Kindheit ohne
Schulbildung und die Tatsache, dass besag-
ter Mensch schon als Kind für seinen
Lebensunterhalt arbeiten musste. Bemer-
kenswert ist dabei, dass er dennoch lesen
und schreiben erlernte. Seinen eigenen An-
gaben nach hatte er dies teilweise von Bau-
ern, vor allem aber sich selbst gelernt, indem
er am Friedhof, wissend, wo wer begraben
lag, dessen Namen buchstabierte und so die
Buchstaben in ihrer Bedeutung erkannte.
Als Dienstorte gab er zunächst seinen Ge-
burtsort Tschötsch und viele Gemeinden im
Umfeld von Brixen, dann aber auch Lienz
und Windisch Matrei, sowie Meran und
Hafling an.
Zuletzt sei er im Lande herumgestrichen.
Er bekannte sich zur katholischen Kirche,
kommunizierte einmal im Jahr, hatte aber
drei Jahre nicht gebeichtet. Auf die Frage,
warum er so lange nicht mehr gebeichtet
habe, folgte die Antwort, er habe viele
beichten sehen, die nachher nicht besser
waren als zuvor.
Die Verhaftung dieses Mannes erfolgte
am 11. Mai 1645 wegen „pesen Geschreys“,
d. h. wegen „üblen Rufes“ bzw. bösen Leu-
mundes und wegen Verdächtigungen, die
schon länger bestanden. Darüber hinaus
blieben klare Aussagen über etwaige Ver-
gehen zunächst aus. Er selbst gab im Verhör
zu, Städte und Dörfer gemieden zu haben
aus Angst, wegen seines Tuns „aufgehoben“
zu werden. Er sei auch gewarnt worden.
Auf die Frage über seinen Umgang gab er
an, zu Getzenberg in Radmüllers Herberge
mit einem Mann namens Caspar über den
Lauf der Planeten und das zu erwartende Le-
bensalter gesprochen zu haben. Bei Verhö-
ren über verdächtige Bücher meinte er, zu
Herzlei sei eine alte lutherische Bibel ge-
wesen, die – so bei späterer (heimlicher?)
Befragung – nun beim Hauser (im Burg-
frieden Rodeneck) sei. Dieser habe auch ein
kurzweiliges Reimbuch und andere Bücher.
Mit Paul Lan zu Nauders habe er ein
Kräuterbüchlein gegen die Weissagungen
der Sibilla getauscht. Auf die Fragen, ob er
mit der bösen Kunst umgegangen sei, Wind
und Wetter gemacht habe und ob er mit
bösen Geistern Gemeinschaft pflege, be-
kannte er harmloses Aberglaubensgetue und
gab über Hexenprozesse keine Antwort, ob-
gleich er zugab, zwei diesbezüglich Verur-
teilte gekannt zu haben.
Interessant ist auch sein Besitztum, das
bei seiner Festnahme gefunden wurde, näm-
lich: 13 Paternoster (Rosenkränze) – drei
neue Stück Sechser – in einem Tüchl graue
und in einem anderen Tüchl weiße
„Magen“ – zwei kleine zerrissene Bethen –
Segen – zwei Liederbüchlein – ein Glasl –
ein Büchl, das sich „Panket der Hof- und
Edelleute“ nennt – ein Büchl, so man das
„Krongebeth“ nennt – ein Agnus dei,
St.-Johannes-Evangelium und ein anderes
Agnus dei – ein ledernes Täschen mit
etlichen Zetteln und zwei Hölzlen – ein
graues Taschl – ein geflickter Sack.
Beim zweiten Verhör wurden ihm bereits
Daumenschrauben angelegt, wobei er über
das Auftreten eines wilden Tieres vor sechs
oder sieben Jahren und seinen damaligen
Verbleib Auskunft geben sollte. Es ging um
das Geständnis der Hexerei. Er blieb aber
bei vagen Aussagen.
Auf stärkeren Druck der Folterschrauben
kam plötzlich Defereggen aufs Tapet: Dort
sei er vor 20 Jahren bei einer Bäuerin ge-
wesen, welche Chrisamhemdlein auf den
Zaun gehängt habe, damit das Wetter nicht
weiter ziehe. Dies habe er auch anderen ge-
raten. Man solle im Sommer freitags nicht
waschen, da ein Träger eines an diesem Tag
gewaschenen Hemdes blitzgefährdet sei u.ä.
Auch von einem Liebeszauber, von dem er
gehört und gelesen habe, berichtete er. Als
er abermals wegen des reißenden Tieres be-
fragt wurde, antwortete er, darüber wisse er
nichts, wahrscheinlich habe er etwas aus
einem Büchlein vorgelesen; eine Antwort,
die ohne rechten Zusammenhang erscheint
und auf eine schmerzbedingte Verwirrtheit
hindeutet.
Ein besonderes Licht warfen aber die Ver-
höre, die im Juni jenes Jahres unter der Be-
völkerung in Schöneck, Feldthurns, Sterzing
und Niedervintl stattfanden, wobei eine
Vielzahl von Personen verhört wurde, auf
die Gesamtsituation. Aus ihnen geht hervor,
dass der Angeklagte Bücher, besonders Pla-
netenbücher (wobei unklar bleibt, was dar-
unter zu verstehen ist) besessen, den Leuten
daraus vorgelesen hatte und dass seinen
Worten vom Volk großes Gewicht beige-
messen worden war. Eine Aussage, die zu
einem einfachen Landstreicher nicht zu pas-
sen scheint.
Die Vorwürfe hinsichtlich Zauberei und
Hexerei wurden mit steigender Intensität
verfolgt. Der Mann wurde am ganzen Kör-
per geschoren, um ein Teufelszeichen
(stigma diabolicum) an ihm zu entdecken,
was aber ohne Ergebnis blieb. Danach kam
es zu Gegenüberstellungen, die in einem
Fall ergebnislos blieben, in anderen Fällen
aber zu Beschuldigungen hinsichtlich Wet-
termachens und seitens einer Frau aus Lüsen
zu der Behauptung führten, er habe ihr ein
Buch aus dem Kasten gezaubert. Da er das
Wettermachen bestritt und erklärte, er habe
das Buch möglicherweise heimlich an sich
genommen, wurde er der Tortur unterzogen.
Zunächst gestand er nichts, bat aber im
Namen Gottes und unserer lieben Frau seine
Qualen enden zu lassen. Auf Drohungen mit
verstärkter Tortur gestand er, mit mehreren
Weibspersonen Unzucht getrieben zu
haben – was aber nicht im Sinne der An-
klage war. Die Folterungen wurden de-
mentsprechend verstärkt fortgesetzt, wobei
Suggestivfragen anzunehmen, aber nicht
verzeichnet sind, denn er bekannte, zwi-
schen Landeck und Imst einer schönen,
wohlgepflegten Frau begegnet zu sein, die
Unzucht von ihm verlangte, der er sich aber
aus Scham verweigerte. Er fügte hinzu, er
wisse nicht, ob es ein Geist, eine gemeine
Vettel oder eine rechte Frau gewesen sei.
Damit war er überliefert.
Das Ergebnis wurde der gräflichen Ge-
richtsherrschaft mitgeteilt und der Richter
wurde beauftragt, bei Dr. Christian Zeiler
ein Gutachten einzuholen, was mit dem
halsstarrigen Mathias Perger geschehen
sollte. Dieser riet eine neue Art der Tortur
(Tormentum insomniae) anzuwenden, was
auch in weiterer Folge verwirklicht wurde.
Nummer 8 –– 69. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Walter Potacs
Der „Lauterfresser“ Mathias Perger und Osttirol