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umher. Weiter flüchteten Menschen in die
Berge.
Der kosakische Emigrant SERGEJ
KOROLKOV hielt 1957 seine Erinnerun-
gen an den 1. Juni 1945 in der Peggetz in
einem Gemälde fest.
Die Zahl der Opfer dieses gewaltsamen
Vorgehens der Engländer an diesem
1. Juni 1945 ist schwer zu eruieren. Olga
Rotowa schätzte die Erschossenen, Er-
drückten, im Fluss Ertrunkenen und die
Selbstmörder zusammen auf 700.
Im Gebiet des ehemaligen Barackenla-
gers in der Peggetz befindet sich heute der
Kosakenfriedhof. Auf 28 Gräbern verteilt
liegen dort etwa 300 Opfer der Tragödie.
Am 2. Juni 1945
wurden 1.858 Kosaken vom Lager in der
Peggetz verladen.
Am 3. Juni 1945
wurden nochmals 1.487 Kosaken von der
Peggetz verladen. Bis zum 7. Juni dauerten
die Deportationen an.
Am 15. Juni 1945
übergaben die Engländer in den Bergen
Kärntens wiedergefangene Kosaken und
Kaukasier an den NKVD (Volkskomissa-
riat für Innere Angelegenheiten) in Juden-
burg. Es waren 934 Menschen, darunter
670 Kosaken, in 18 Lastwagen gepfercht.
So dürften die Engländer mehr als
50.000 Menschen, davon 35.000 Kosaken,
die alle als sowjetische Staatsbürger
eingestuft wurden, 20.000 davon aus
Domanows Einheiten im Tal der Drau, an
die Rote Armee ausgeliefert haben.
Im Juni 1945
Zwölf militärische Führer der Kosaken
und Kaukasier kamen direkt in die Gefäng-
nisse des MGB (Ministerium für Staatssi-
cherheit) und KGB (Komitee für Staatssi-
cherheit). Der Chef der SMERS‘ (Haupt-
verwaltung für Gegenspionage des
Volkskommissariates für Verteidigung),
Viktor Abakumov, persönlich verhörte sie
in Moskau im Lubjanka-Gefängnis. Das
erste Protokoll des Verhörs ging an Stalin,
Außenminister Vjacéslav Molotov und den
Chef der NKVD, Lavrentij Berija.
Am 15. Jänner 1947
Eröffnung des Prozesses gegen sechs Ge-
neräle (Pjotr Krasnow, Andrej Schkuro,
Sultan Kelec` Girej, Semjio Krasnow, Ti-
mofej Domanow und Helmuth von Pann-
witz) vor dem Militärkollegium des
Obersten Gerichtes der UdSSR in Moskau.
Die Sowjets bezeichneten die führenden
Kosaken-Offiziere schuldig des „bewaff-
neten Kampfes gegen die Sowjetunion,
ebenso der Spionage und subversiver und
terroristischer Akte“.
Am 16. Jänner 1947
Die sechs Generäle wurden zum Tode
verurteilt. Das Urteil wurde um 19.39 Uhr
verkündet und um 20.45 Uhr durch Er-
hängen vollstreckt.
Am 17. Jänner 1947
gab die „Pravda“ die Hinrichtung bekannt.
Folgend die Übersetzung des Original-
textes:
„Das Militärkollegium des Obersten Ge-
richtes der UdSSR erkannte in der Anklage
der inhaftierten Agenten des deutschen
Nachrichtendienstes, der Befehlshaber be-
waffneter weißgardistischer Abteilungen
während des Bürgerkrieges, den Ataman
Krasnow P.M., den Generalleutnant der
Weißen Armee Schkuro A.G., den Kom-
mandeur der ,Wilden Division‘, den Gene-
ralmajor der Weißen Armee, Sultan Kelec`
Girey, den Generalmajor der Weißen
Armee, Krasnow S.M., und den Generalma-
jor der Weißen Armee, Domanow T.I., und
ebenso den General der deutschen Armee,
den SS-Angehörigen von Pannwitz Helmuth
– schuldig dessen, dass sie im Auftrag des
deutschen Nachrichtendienstes in der Zeit
des vaterländischen Krieges mittels der von
ihnen gebildeten weißgardistischen Truppen
den Kampf gegen die Sowjetunion geführt
und aktive Spionage, Diversion und Terror
in der UdSSR vollbracht haben. Alle Be-
schuldigten haben sich der ihnen zur Last ge-
legten Verbrechen für schuldig erklärt. In
Übereinstimmung mit den Paragraphen 1 der
Verordnung des Präsidiums des Obersten
Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 hat
das Militärkollegium des Obersten Gerichts
der UdSSR die Angeklagten Krasnow
P.M., Schkuro A.G., Sultan Kelec` Girey,
Krasnow S.N., Domanow T.I. und von Pann-
witz Helmuth zum Tode durch den Strang
verurteilt. Das Urteil wurde vollstreckt.“
Am 16. Juli 1992
bestätigte der damalige Oberste Sowjet die
Verordnung Präsident Jelzins „Über die
Rehabilitierung des Kosakentums“. Damit
wurde das Kosakentum den in der Stalin-
Zeit verfolgten Völkern gleichgestellt.
Am 23. April 1996
Der Generalstaatsanwalt der russischen
Föderation in Moskau überprüfte auf An-
trag der Enkelin des Generals Helmuth
von Pannwitz, Gräfin Vanessa von
Bassewitz, erneut die Tätigkeit des Hin-
gerichteten. Auch die Vereinigung der rus-
sischen Kosaken drängte den obersten Mi-
litärstaatsanwalt zur Rehabilitierung, die
dann am 23. April 1996 offiziell erfolgte.
Schlusswort
Kosaken, das ist für viele heute lediglich
ein berühmter Chor und exotische Fol-
klore. Nur wenige verbinden mit diesem
Wort das tragische Schicksal eines kleinen,
freiheitsliebenden Volkes, das im grausa-
men Getriebe des 20. Jahrhunderts, zwi-
schen Russischer Revolution und Zweitem
Weltkrieg, zwischen Bolschewismus und
Nationalsozialismus verblutete, das nur der
Freiheit willen tausende Kilometer durch
Europa zog und dessen blutiges Ende sich
in Osttirol und Kärnten in den Frühlings-
tagen 1945 vollzog.
Mit ihren Atamanen, den Reitern, Tross-
wagen, mit Kind und Kegel waren sie am
Ende des langen Marsches über den
Plöckenpass gekommen, in der Hoffnung,
bei der alliierten Siegermacht England
Humanität und Gerechtigkeit zu erfahren.
Aber in Jalta waren die Würfel bereits ge-
fallen. Der Georgier Stalin, einer aus einem
den Kosaken verwandten Volk, hatte ihre
Auslieferung an die Sowjetunion durchge-
setzt, und der britischen Armee blieb es vor-
behalten, den grausamen Akt zu vollziehen.
Der lange Marsch in die Freiheit wurde für
die Kosaken ein Marsch in den Tod.
Welche Verzweiflung mag diese Men-
schen befallen haben, als sie nach all den
enttäuschten Hoffnungen, tausende Kilo-
meter fern von ihrer angestammten Hei-
mat, an dieses tragische Ende kamen.
Allein zwischen Lienz und Spittal star-
ben um den 1. Juni 1945 an die 2.500 Ko-
saken, Männer, Frauen und Kinder, teils
imWiderstand gegen die gewaltsame Aus-
lieferung, zum größten Teil aber durch
Selbstmord.
Kosaken griffen zur Nagan, ihrer
schweren Pistole, und nahmen Frauen und
Kinder mit in den Tod. Andere öffneten
ihre Pulsadern mit dem Kinshal, dem
Dolch, den sie am Gürtel ihrer Tscher-
kessken trugen. Berichte über diese ent-
setzlichen Ereignisse erzählen, dass viele
Hand in Hand in die durch die Schnee-
schmelze hochwasserführende Drau gin-
gen und sich in dem ostwärts (= heim-
wärts) strömenden Fluss ertränkten.
Viele waren es, die lieber den Tod wähl-
ten, statt „Repatriierung“, die ein schnelles
Ende dem langsamen Sterben in den Straf-
lagern Sibiriens vorzogen.
Es scheint heutzutage noch unfassbar,
wie es zu dieser Tragödie 1945 kommen
konnte. Gott und die ewig stehenden
Berge unserer Heimat sind Zeugen dafür,
was hier im Mai – Juni 1945 Unmensch-
liches an vielen Unschuldigen und Wehr-
losen geschehen ist, dass ein Menschenle-
ben nichts mehr galt, das gegebene
Ehrenwort und Versprochenes nicht ge-
halten und schamlos gebrochen wurden.
Mit Verrat und roher Gewalt mussten von
den allmächtigen Siegern die armen Ko-
saken überwältigt werden – und das nach
dem Kriege – im Frieden! Man predigt
Nummer 6 – 70. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Text in Übersetzung „Carnia 1.-2. Mai
1945 – Ende der Besatzung durch die Ko-
saken – Rückzug der Kosaken in Richtung
Österreich“. Text auf einer Gedenktafel
mit Darstellung der Geldübergabe an den
Pfarrer von Timau durch Kosakenoffiziere
(Privatbesitz).
Foto: Josef Kiniger