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Leben zwischen den Häusern.
Eine neue Sicht auf die
Plätze in unseren Städten.
Der dänische Architekt Jan
Gehl, einer der weltweit wohl
bekanntesten
Stadtplaner,
erläutert die fundamentale
Bedeutung sensibler Raum-
planung für ein gutes Zu-
sammenleben in unseren
Städten. Dabei nennt Jan
Gehl entscheidende Eckpfei-
ler für die Verbesserung der
Lebensqualität. Im Objektiv
seiner Betrachtungen steht
der Mensch, dessen grund-
legende Bedürfnisse die Ge-
staltung öffentlicher Räume
bestimmen sollten. Und im
Gegensatz zur Architektur,
die ebenso wie unser Leben
wechselnden Moden und
Strömungen unterliegt, blei-
ben diese Kriterien überra-
schend konstant.
In dieselbe Kerbe schlägt das
Opus Magnum des Architek-
ten und Architekturhistorikers
Vittorio Magnago Lampug-
nani über die Architektur der
Stadt im 20. Jahrhundert: eine
Ideengeschichte, eine Bauge-
schichte, eine Kulturgeschich-
te. Warum hat eine Stadt zu
ihrer speziellen räumlichen,
physischen und ästhetischen
Form gefunden? Lampugna-
ni beantwortet diese Frage,
indem er aus europäischer
Perspektive Städte in der
ganzen Welt betrachtet. Sei-
ne Aussagen basieren auf der
Beobachtung, dass sich der
Städtebau seit Jahrzehnten
aufspaltet in die Architektur
einerseits und die Stadtpla-
nung andererseits. Befasst
sich die Architektur mit dem
Entwurf einzelner Bauwerke,
so konzentriert sich die Stadt-
planung auf die Ausweisung
von Nutzflächen und die Er-
füllung von funktionalen, vor
allem verkehrstechnischen
Anforderungen, ohne räum-
liche oder gar ästhetische
Vorstellungen zu entwickeln.
Diese Spaltung zwischen Po-
esie und Zahlen wie Lampug-
nani es formuliert muss rück-
gängig gemacht werden.
Gerhard Rainalter von der
innovate Gruppe, die sich
mit neuen Wohnformen,
aber auch mit Ortsraum bzw.
Stadtraum-Entwicklungen
befasst, meint dazu: „Rein ra-
tional will der Mensch oft nur
sein Auto irgendwo parken,
um einzukaufen, ins Kino zu
gehen oder Freunde zu be-
suchen. Auf der emotionalen
Seite, die wir alle meist nicht
bewusst bewerten, suchen
wir aber noch nach ganz an-
deren Eindrücken, Empfindun-
gen, Wahrnehmungen. Wieso
halten wir uns an bestimmten
Orten gerne auf und an ande-
ren am liebsten gar nicht?
Wir wollen uns wohlfühlen
und uns sicher fühlen. Da
spielen Farben, Formen und
Materialien und die Verbin-
dung zwischen Funktion und
Ästhetik eine enorme Rolle.
Wir müssen wieder lernen
Städte, Quartiere, Straßen,
Plätze und Parkflächen mit
derselben Sorgfalt und Sen-
sitivität zu gestalten, wie wir
es mit Wohnraum tun, ohne,
dass wir die Funktionalität
verlieren. Interessant ist, dass
Handel, Gastronomie und Ge-
werbe an Plätze, die nach die-
sen Prinzipien gestaltet sind,
deutlich mehr Wertschöpfung
haben als an rein funktio-
nalen Plätzen. Kurzum, wir
brauchen Mut, um auf unser
Bauchgefühl zu hören.“
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