Seite 1 - H_2003_01

Basic HTML-Version

Nummer 1/2003
71. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Anton Draxl
Von „Walchen“ und von den todeschi
Historische Streiflichter vom Oberlauf der Gail und des Piave
Der Begriff „Wal-
chen“, „Walsche“ oder
Welsche
(Schweiz)
stammt von einem galli-
schen Stammesnamen,
lateinisch
Volcae Tecto-
sages
(laut
Julius Caesar
im deutschen Mittelge-
birge)
1
, germanisch
Wal-
hos
, der dann auf die ro-
manisierte Bevölkerung
in Gallien und die Bewoh-
ner Italiens überging; alt-
hochdeutsch
Wal(a)h
„Romane“, mittelhoch-
deutsch
Walch
oder
Walhe
„Romane, Italiener,
Franzose“, verwandt mit
Walnuß „welsche Nuss“
(mittelhochdeutsch
wal-
hish nuz
): Der Baum ist
vor allem in Gallien ange-
pflanzt worden.
Der abschätzige Bei-
sinn von „walsch“ im
Gegensatz zu deutsch
möge in der EU in Ver-
gessenheit geraten (in
der Schweiz etwa hat
welsch keinen negati-
ven Beiklang)! Zur Zeit
Karls des Großen war
thi-
utisk
die amtliche Be-
zeichnung der germani-
schen Sprachen, das
Gegenwort war
walhisk
für die romanischen. Der
Begriff „deutsch“ geht
auf ein altes Wort in
der Bedeutung „Volk,
Stamm“ und nicht auf ein
bestimmtes Volk oder
einen bestimmten Stamm
zurück. Die alte italie-
nische Bezeichnung
todeschi
bedeutet
nicht „Deutsche“ im heutigen staatsrecht-
lichen Sinn, sondern ganz allgemein Men-
schen, die deutsch sprechen
2
. Für die „Wal-
chen“ des
Cadore
waren die Nachbarn im
Norden am Oberlauf der Gail, in Tilliach
und Kartitsch, und drüber hinaus
todeschi
.
– Zum Nachdenken über das abschätzige
„walsch“: Die „Walchen“ des
Cadore
bau-
ten arbeitsam und ideenreich um 1880 eine
umweltfreundliche Industrie mit wenigen
großen Fabriken und vielen kleinen Hand-
werksbetrieben auf: Der größte Teil der ita-
lienischen Brillen (Gläser, Gestelle, Etuis)
wird dort hergestellt, 80
% gehen in den Export.
Entstanden ist diese
weltweit konkurrenzfä-
hige optische Industrie im
Cadore
aus der Heimar-
beit zur Fertigung von
Kämmen aus Rindshorn,
die von Wanderhändlern
im gesamten
Veneto
an-
geboten wurden
3
.
Nun zum Oberlauf der
Gail! – Tilliach hieß in
Brixner Urkunden um
1075 bis 1090 neben
Ti-
liun
auch
Circinach
: Die
Edle Judith schenkte dem
Bischof von Brixen ihr
predium
„Grundstück,
Gut“ in
Tiliun, quod
vulgo Circinach nomina-
tur
(T., das man im
Volksmund C. nennt)
4
.
Durch diese Schenkung
faßte also Brixen Fuß in
Tilliach. Die Bewohner
des
Comelico
– in der
Mundart
von
Pla-
den/
Sappada khomälgar
5
genannt – bezeichnen Til-
liach heute noch als
Cerci-
nato
(vergleiche
Cercenà
,
ein Weiler bei
Campitello
im Fassatal, urkundlich
1337
Cercenato
; verglei-
che
Cecernà
, ein Wald in
Gröden;
Cecernà
am
Biois
und oberen
Corde-
vole
;
Cecernàt
in Friaul).
Der Ortsname kommt von
lateinisch
circinare
„zir-
keln“ im Sinn von „die
Rinde eines Baumes
rundherum so einschnei-
den, daß er abstirbt“ (von lateinisch
circum
„im Kreise, ringsum“). Ein Platz mit „gerin-
gelten“ Bäumen bekam von Romanen diesen
Namen. Der Begriff
circinare
bedeutet aber
auch „einschließen, umzäunen“ – diese Er-
klärung paßte gut zu einer Almsiedlung mit
„Hag“ (Einfriedung für das Vieh)
6
. In
Obertilliach war früher eng zusammengedrängt. Die ersten Siedler bauten das
Dorf so, daß es leicht verteidigt werden konnte. Es zeigte dieselbe geschlossene
Bauweise wie die alten Rätoromanendörfer im Engadin und in Westtirol. Das
Ortsbild hat sich seit 1950 doch stark gewandelt. Die Auflockerung des Hau-
fendorfes wurde wegen der stets drohenden Brandgefahr für notwendig gehal-
ten (im Hintergrund der Eggenkofel, Lienzer Dolomiten). Foto: Walter Mair