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Nummer 4/2004
72. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Der Zaunkönig ist den meisten Natur-
freunden durch seinen lauten und selbstbe-
wussten Gesang und sein lebhaftes Wesen
bekannt. Sein wissenschaftlicher Name ist
Troglodytes troglodytes,
was griechisch so
viel wie Höhlenbewohner heißt. In Osttirol
wird er in Villgraten, Heinfels und Strassen
Pfutschkinig
oder nur Pfutsch genannt, weil
er so flink, rastlos, neugierig und geschickt
ist. Aus St. Johann i. W. kommt die Be-
zeichnung
Stutzkinig,
im
Defereggen heißt er kurz und bündig Stutz.
Unsere italienischen Nachbarn nennen
ihn gerne il re degli uccelli, also den König
der Vögel.
Dem entspricht der spanische Name reye-
zuelo. Die Niederländer nennen ihn Winter-
koning, die Schweden Gärdsmyg, also
Zaun-Schmieger, nach seinem Verhalten.
Der Beobachter kann ihn kaum über-
hören aber leicht übersehen. Denn der kleine
Kerl ist nur 8 bis 9 g leicht, etwas schwerer
als unsere beiden Goldhähnchenarten, die
nur 5 bis 6 g wiegen. Mit seinem kurzen ge-
stelzten Schwanz ist der Zaunkönig ein
Winzling. Das hochgestellte Schwänzchen
lässt ihn keck und unternehmungslustig er-
scheinen, ist jedoch ein Zeichen von Un-
ruhe, Erregung und Furcht.
Sein Gefieder ist unauffällig gefärbt. Es
weist verschiedene Brauntöne auf: Die
Oberseite ist kastanienbraun, die Unterseite
erdbraun und braunweiß; beide sind dunkel
gebändert. Diese Rindenfarbigkeit tarnt ihn
und erinnert an Waldbaumläufer, Wende-
hals und Waldschnepfe. Diese Vogelarten
sind nicht jedermann bekannt. Aber ein
Bestimmungsbuch für unsere Vogelwelt
hilft schnell weiter (SVENSSON et al.
1999). Die Geschlechter beim Stutzkinig
kann man am Gefieder nicht unterschei-
den. Man weiß nie, ob man die Königin
oder den König sieht. Sein schlanker
Insektenfresserschnabel ist ganz leicht ab-
wärts gebogen, seine langen Zehen fassen
viel Bodenfläche, weshalb er ein hervor-
ragender Kletterer ist (GLUTZ VON
BLOTZHEIM & BAUER 1985).
Für einen so kleinen Vogel hat er einen
verblüffend lauten Gesang. Stimmgewaltig
trägt er seine hell klingende Trillerstrophe
das ganze Jahr über vor, natürlich be-
sonders zur Brutzeit. Bei Beunruhigung
warnt er mit einem harten Ruf „tscheck“
oder einem schnurrenden „zrrr“.
Die Verbreitung der Art ist holarktisch,
d.h. er bewohnt Eurasien und Nordame-
rika. Er brütet in der kalt gemäßigten (bo-
realen), gemäßigten und mittelmeerischen
(mediterranen) Klimazone (VOOUS
1962, HAGEMEIJER & BLAIR 1997).
Sein Lebensraum sind Laub- und Misch-
wälder, die reich an Unterholz sind und hohe
Bodenfeuchtigkeit aufweisen. Dort be-
wohnt er Dickichte, schattige Gebüsche und
Reisighaufen, untersucht das überhängende
Wurzelwerk von Bachrändern und erklettert
die Wurzelscheiben gestürzter Bäume.
Auch in Parks und Gärten kommt er vor.
Sie müssen aber naturnah sein und De-
ckung bieten. Hausgärten, die „hygie-
nisch“ gepflegt sind, ziehen ihn nicht an,
ebenso wenig das Innere geschlossener
Nadelwälder (GLUTZ VON BLOTZ-
HEIM & BAUER 1985, BRADER & AU-
BRECHT 2003). In Heckenlandschaften,
wie im Oberlienzer Schwemmkegel, be-
siedelt er deckungsreiche Waldsäume,
Hohlwege sowie schattige und gebüsch-
reiche Böschungen. Auf Klaubsteinmau-
ern freistehende Hecken meidet er
(RAGGER et al. 2003).
Winzig wie eine Maus durchstöbert er
bei der Nahrungssuche alle Winkel und
Ecken, lässt keine Erdhöhle aus und findet
immer wieder einen Ausweg. Im Winter
geht er sogar in Verlandungsgebiete: Am
Tristacher See, am Tassenbacher Speicher
und an Baggerteichen im Raum Lavant
stöbert er im Schilf und Röhricht Spinnen,
Insekten und andere Kleintiere auf
(MORITZ & BACHLER 2001).
Der Zaunkönig wird im Laufe eines Jah-
res in wechselnder Zahl beobachtet. Die
Grafik enthält 1.816 Individuen, die in den
sieben Jahren von 1996 bis 2002 festge-
stellt wurden (Ornithologisches Tagebuch
A. Bachler/D. Moritz). Die monatliche Ver-
teilung zeigt, dass nur wenige Vögel über-
wintern, von November bis Feber sind es
in sieben Jahren nur 166 Individuen
(Durchschnitt pro Winter 24 Exemplare).
Annemarie Bachler – Dieter Moritz
Der Zaunkönig – Vogel des Jahres 2004
Zaunkönig, eben flügger Jungvogel, was die deutlich gelben Schnabelecken zeigen.
Foto: W. Berger