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Das Defereggental hat mehrere Geistes-
wissenschaftler hervorgebracht, die zu-
meist in ihrer unmittelbaren Heimat kaum
mehr bekannt sind. Dies gilt etwa für den
Historiker Peter Paul Passler (1851-1934)
oder den Altphilologen und Dialektfor-
scher Valentin Hintner (1843-1923), die
erst in den letzten Jahren gleichsam wie-
der entdeckt wurden
1
, aber auch für den
viel jüngeren Franz Unterkircher aus
St. Jakob (1904-1989), der als Wissen-
schaftler über die Grenzen Österreichs
hinaus bekannt war. Franz Unterkircher
leitete jahrzehntelang die Handschriften-
sammlung der Österreichischen National-
bibliothek, eine der weltweit größten und
bedeutendsten derartigen Sammlungen. Er
machte sich um die Katalogisierung der
Handschriften ebenso verdient wie um die
Herausgabe von Faksimile-Ausgaben
wichtiger mittelalterlicher Handschrif-
ten, um sie so einem breiteren Leser- und
Forscherkreis zugänglich zu machen. Hat
Unterkircher durch diese Arbeit inter-
nationale Anerkennung gefunden, sind
seine frühen kunstgeschichtlichen und hei-
matkundlichen Arbeiten heute weitgehend
vergessen, ja scheinen nicht einmal voll-
ständig in seinem Werkverzeichnis auf
2
.
Die folgenden Zeilen versuchen zu-
nächst seinen akademischen Werdegang
nachzuzeichnen und dann seine Beziehung
zu Tirol zu beleuchten. Zeit seines Lebens
blieb Unterkircher mit seiner alten Heimat
Defereggen verbunden und besuchte sie,
so lang es ging, immer wieder.
Darüber hinaus hat Unterkircher sich
auch die Liebe zu Südtirol bewahrt und in
politisch schwierigen Zeiten dem abge-
trennten Landesteil zahlreiche Publika-
tionen gewidmet. Auch sie sollen hier zur
Sprache kommen. Sein Hauptarbeits-
gebiet, die Handschriftenkunde, muss
hingegen hier weitgehend ausgespart
bleiben.
heimatkundlichen Beiträgen in den Ost-
tiroler Heimatblättern
4
. Die Liebe zur
Geschichte und Kultur wurde dem Sohn
Franz also bereits in die Wiege gelegt.
Franz besuchte die Volksschule in
St. Jakob und ging im Anschluss daran
(1914) an das berühmte k. k. Staatsgymna-
sium in Brixen, besser bekannt als Augus-
tinergymnasium, wo er im Jahre 1922
maturierte. Unterkircher verfasste Jahr-
zehnte später, anlässlich des 55. und des
65. Maturajubiläums, zwei bemerkens-
werte Artikel über die Schulzeit in Brixen,
die hier auszugsweise wiedergegeben
werden sollen
5
. Waren im Jahre 1914 noch
49 ungehobelte Buben ihren „Bildungs-
und Veredelungsgang“ angetreten“, wie
Unterkircher es nennt, so schafften es nur
17 Schüler bis zur Reifeprüfung. Die Stadt
Brixen veränderte sich im Laufe der Jahr-
zehnte sehr:
„Der Weg vom alten Gymna-
sialgebäude zum Weißen Turm, die obli-
gate Bummelstrecke in der Zehn-Uhr-
Pause, war damals begleitet vom leisen
Plätschern der Wier – heute ist sie ver-
schwunden, und über den zugedeckten
Wasserlauf führen keine Brücken mehr,
auch nicht das schicksalsschwere ,Brüg-
gele‘ zum Priesterseminar (…).“
Während
des Ersten Weltkriegs war die Hofburg
Heimstatt der Gymnasiasten geworden:
„Da das Cassianeum von 1914 bis 1917
Reservelazarett war, hatte der Fürstbischof
die 50 Zöglinge in seiner Burg unterge-
bracht. (…) Als Schlafsäle dienten zwei
große Räume an der Ostseite des ersten
und zweiten Stockes, mit den danebenlie-
genden Waschräumen im Winter wahre
Eisgruben. (…) Von der Galerie aus
[wo
die Studenten wohnten]
konnten wir 1917
die Begegnung des Fürstbischofs mit dem
Kaiser Karl beobachten.“
Zehn Jahre später befasste sich Unter-
kircher ein weiteres Mal mit seiner Gym-
nasialzeit und dem Leben im Cassianeum
6
.
Unterkirchers akademischer
Werdegang und sein Wirken als
Wissenschaftler
Franz Unterkircher kam am 29. Septem-
ber 1904 in St. Jakob in Defereggen als
Sohn des Volksschullehrers Vinzenz Un-
terkircher (1865-1934) und der Marianne,
geborene Passler (1866-1952), zur Welt.
Die Familie Unterkircher war seit Genera-
tionen im Lehrberuf tätig
3
. Der St. Jakober
Chronist Hans Ladstätter bezeichnet sie als
„Ehrenblatt in der Chronik des Tales
Defereggen“. Franzens Vater war als Mit-
begründer der Freiwilligen Feuerwehr und
der Raiffeisenkasse in St. Jakob ebenso in
Erscheinung getreten wie als Autor von
NUMMER 1-2/2005
73. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Michael Huber
Franz Unterkircher
und das südöstliche Tirol
Zum 100. Geburtstag des Wissenschaftlers aus St. Jakob in Defereggen
DDr. Franz Unterkircher (1904-1989).
(Archiv der Gemeinde St. Veit i. D.)