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Im Jahr 1930 verstarb der gebürtige
St. Jakober Franz Josef Kleinlercher als
Dekan von Bruneck. Zur damaligen Elite
gehörend, aber in der Gemeinde wie in sei-
nem Familienstamm unbekannt und ver-
gessen, verdient er es – 75 Jahre nach sei-
nem Tode – sich seiner zu erinnern. Er war
ein außergewöhnlicher Mann mit der aus-
geprägten Tugend des Weitblicks für reli-
giöse, wirtschaftliche, politische und ge-
sellschaftliche Probleme seiner Zeit. Ein-
fach ein standesbewusster Defregger vom
alten Schlag. Im Gegensatz zu seinem um
sechs Jahre jüngeren und im ganzen Land
bekannten Landsmann Sebastian Rieger
vulgo Reimmichl, dem er in seinen Leis-
tungen um nichts nachsteht, kommt Franz
Josef Kleinlercher in der Regionalge-
schichte nicht vor. Anhand von gedruckten
Quellen und Aussagen von Zeitzeugen
wird versucht, seinen Lebensweg (nur
annähernd und daher nicht lückenlos und
vollständig) zu dokumentieren.
Franz Josef Kleinlercher erblickte am
29. Dezember 1861 in Grandeggen Nr. 13
der Gemeinde St. Jakob im Defreggen als
einziges Kind seiner Eltern das Licht der
Welt. Sein Vater Josef Kleinlercher (geb.
am 1. Juli 1823 als drittes von sechs Kin-
dern der Eheleute Josef Kleinlercher, geb.
1795, verheiratet mit Katharina Ladstätter,
geb. 1797, vulgo Kruschten, Bauersleute
in der Unterhirbe mit heutiger Haus Nr.
Innerrotte 14 b in St. Jakob) war um diese
Zeit als weichender Sohn mit seiner Frau
Quartiernehmer in diesem Bauernanwesen
vulgo Jörgen später auch Zochis im Orts-
teil Grandeggen. Bei der Hochzeit ist er
noch als Mithauser am elterlichen Hof in
der Unterhirbe vermerkt. Von Beruf ist bei
der Taufe des Kindes Bauer und Händler
eingetragen, er hatte aber keinen eigenen
Besitz. Sein Einkommen als Defregger
Wanderhändler ermöglichte aber den-
noch einen höheren Schulbesuch seines
Sohnes. Durch spätere Besitzwechsel die-
ses Geburtshauses von Franz Josef im
Grandeggen, der letzte war im Jahr 1996,
wurde das bereits baufällige Wohngebäude
von Grund auf renoviert und erneuert und
wird wohl zukünftig den Vulgonamen
Låckner, von wo der neue Eigentümer als
Weichender des Nachbarhofes abstammt,
tragen. Die Landwirtschaft mit separatem
Futterhaus erwarb der Besitzer des Gutes
vulgo Låckner als Anrainer. Dieser hat
auch den Familiennamen Kleinlercher ist
aber mit der Familie von Franz Josef
Kleinlercher nicht verwandt. Den Heimat-
hof Kruschten übernahm Josefs älterer
Bruder Christian (1820 – 1896, verheiratet
mit Katharina Oberwalder, 1834 – 1898).
Diese Linie bildet sich über Christian
(1860-1933) und Bernhard (1914-2004)
mit seinen Söhnen Gregor und Bernhard
und dessen Nachkommen bis heute weiter.
Die östliche Besitzhälfte dieses uralten
Doppelwohnhauses aus der Zeit des Berg-
baues mit getrenntem Stallgebäude besteht
ebenfalls noch. Bernhard verkaufte um
1970 seine Haushälfte mit der Hälfte des
Wirtschaftsgebäudes, nachdem er ein
neues Futterhaus (1951) und dann ein
neues Haus (1966) als Fremdenpension im
aufstrebenden Fremdenverkehrsort ge-
baut hatte. Seit 2001 stehen die alten reno-
vierten und bewohnten Gebäude in der
Unterhirbe unter Denkmalschutz, was für
dieses im Volksmund auch „Russenvier-
tel“ genannte Gebiet und auch für die Ge-
meinde von großer Wichtigkeit ist. Alte
Bausubstanzen erhalten und nutzen bzw.
zu ergänzen ist für die Identität einer Berg-
kulturlandschaft und auch für die Touris-
muswirtschaft vorteilhafter. Neues Bauen
ist gut und notwendig, aber nur sehr selten
gelingt es den Bauträgern und den Planern,
dieses neue Bauten auch organisch der
Landschaft angepasst zu verwirklichen.
Franz Josefs Mutter, Maria Kröll (geb. 9.
Jänner 1828) war das älteste von 14 Kin-
dern der Eheleute Markus Kröll (geb. 1800)
und Katharina Gasser (geb. 1804) vulgo
Peters in Obkirchen, ebenfalls in St. Jakob.
Dieses später durch Erbschaft geteilte statt-
liche Haus steht heute noch unverändert am
Berg – nur das separat stehende Wirtschafts-
gebäude wurde abgetragen – und ist seit
1938 im Besitz der deutschen Familie Haes-
ler, die wohlwollend und sorgsam darauf
achtet, den Urzustand bestmöglich zu er-
halten – ein für die Region vorbildhaftes
Beispiel mit Kulturerbe umzugehen, es zu
erleben und weiterzugeben.
Die Ehe schlossen seine Eltern Josef und
Maria am 21. Juni 1853. Vielleicht war
Franz Josef Kleinlercher nach acht kinder-
losen Ehejahren ein verlobtes Wunsch-
kind? Trauzeuge dieser Heirat und Tauf-
pate des Kindes Franz Josef war Franz
Unterkircher (1825-1885), Lehrer und
Kirchenmesner in St. Jakob und verheira-
tet mit Marianna Ladstätter (1823-1888).
Auch dessen jüngster Sohn Vinzenz (1865-
1934, gest. in Grafendorf, Gemeinde
Gaimberg), ebenfalls Lehrer, verheiratet
mit Marianne Paßler (1866-1952, gest. in
NUMMER 10/2005
73. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Viktor Ladstätter
Franz Josef Kleinlercher
(1861-1930)
Ein Defregger Ökonom und Gottesdiener
Porträt von Franz Josef Kleinlercher in
einer Aufnahme des Fotografen Mariner,
Bruneck, um 1896.
(Original-Foto in der Sammlung Her-
mann Huber, Mair zu Gasteig, Bauer in
St. Lorenzen i. P.-St. Martin)