Seite 15 - H_2006_09

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Der medizinische Fortschritt der letzten
25 Jahre ist unübersehbar. Wenngleich die
großen Bedrohungen wie Herz-, Kreis-
lauf-, Krebs- und Infektionskrankheiten
ihren Schrecken noch nicht verloren
haben, so sind die Möglichkeiten unver-
gleichlich besser geworden. Nur mehr ein
Drittel aller Krebserkrankten erliegen in-
nerhalb relativ kurzer Zeit nach Diagnose-
stellung ihrer Erkrankung, ein weiteres
Drittel kann sogar vollständig geheilt wer-
den. Die Sterblichkeit an Herzinfarkten ist
um die Hälfte zurückgegangen, schwere
Infektionserkrankungen können mit spe-
ziellen Medikamenten und der Hochtech-
nologie der Intensivmedizin wesentlich
besser beherrscht werden.
Wobei wir bei einem Meilenstein der
Medizin der letzten Zeit sind:
Technisie-
rung.
Der Blick in eine moderne Intensiv-
station erinnert mehr an ein Technologie-
zentrum, als an eine ärztliche und pflege-
rische Wirkungsstätte. Der Mensch
erschließt sich durch immer trickreichere
Endoskopien, die Knopflochchirurgie hat
häufig den großen chirurgischen Schnitt
ersetzt, Mikrochips versetzen uns in die
Lage, ausgeklügelte Steuerungssysteme
zum Antrieb des Herzens anzuwenden.
Die Molekularbiologie hilft uns, diagnos-
tisch und therapeutisch ungekannte Wege
zu gehen. Was eines wiederum voraus-
setzt:
Spezialisierung.
Dass ein Arzt den
Überblick über das gesamte Medizinspek-
trum behält, ist nur mehr Illusion. Spezia-
listentum ist notwendig, birgt aber die Ge-
fahr der Zersplitterung und das Fehlen der
Gesamtbetrachtung des Menschen. Auch
unsere Patienten selbst unterliegen zuneh-
mend der Technologie-Gläubigkeit und
Machbarkeit aller Probleme, und sind ent-
täuscht, dass noch im Jahre 2006 zahl-
reiche medizinische Probleme nicht lösbar
sind. Die Demut vor einem Schöpfer, der
möglicherweise andere Pläne verfolgt,
kann nur mehr schwer akzeptiert werden.
Die
Wissenschaftlichkeit
in der Medizin
der letzten 20 Jahre wurde bis zur sogenann-
ten Leitlinienmedizin vorangetrieben, in der
der individuelle Spielraum vermeintlich ein-
geengt wurde. Andererseits garantieren
Leitlinien für eine breite Basis von Patienten
einen hohen Standard der Medizin, der aber
nicht immer eingehalten werden kann.
Ökonomisierung.
Die explodierenden
Medizinkosten, die vor allem auf den inten-
siven Personaleinsatz, auf neue technische
Geräte und Medikamentenentwicklung zu-
rückzuführen sind, schaffen Handlungsbe-
darf. Politiker haben dies erkannt und versu-
chen nun in verschiedenen Bereichen Ein-
fluss zu nehmen, um die Kostenspirale zu
reduzieren. Sie tun dies zweifellos zu Recht,
übersehen aber, dass sich regionale Mikro-
systeme über Jahrzehnte entwickelt haben,
die unter Umständen dramatisch verändert
werden müssen, was nicht innerhalb kurzer
Zeit möglich ist. Was uns diesbezüglich die
nächsten Jahre bringen werden, gilt abzu-
warten. Eines jedenfalls hat die Ökonomi-
sierung mit Sicherheit gebracht: Abteilun-
gen werden nicht mehr so sehr an ihrer me-
dizinischen Leistung, sondern vielmehr an
ihrer ökonomischen Gebarung gemessen.
Die Einflussnahme von Controllern führte
letztlich zum weitgehenden Autonomiever-
lust des ärztlichen Handelns. Dies mag einer
der Gründe für die in vielen Spitälern
Europas vorhandene Frustration sein.
Um Controllern bessere Anhaltspunkte
gewähren zu können, hat eine weitere Dis-
ziplin in die Medizin massiv Einzug gehal-
ten:
Bürokratisierung.
Seit 1997 werden
medizinische Leistungen und Diagnosen
codiert und sind somit die Grundlage für
die finanzielle Refundierung von Kranken-
häusern. Der verständliche Wunsch der
Verwaltungen an die Mediziner ist: je
höher das Fallpauschale, das zu erzielen
ist, desto besser für das Krankenhaus. Dies
bedeutet möglichst kurze Liegedauern und
möglichst optimale Ausnützung der Codie-
rungsmöglichkeiten. Der Arzt als Patien-
tenvertreter gerät zwischen die Interessens-
sphären von Patient und wirtschaftlicher
Geschäftsführung, die ebenfalls wachsen-
dem ökonomischem Druck ausgesetzt ist.
Das Schlagwort
Qualitätssicherung
ist
nicht nur in der Medizin in aller Munde:
Zweiffellos ist es eine Errungenschaft der
letzten Jahre, dass die Ergebnisse, die in
Krankenhäusern erzielt werden, erfasst
und immer öfter zum Vergleich offenge-
legt werden. Dies erfordert auf der einen
Seite selbstkritisches Vorgehen und auf der
anderen Seite auch wieder bürokratische
Erfassungsarbeit.
Schließlich ist die Medizin als einer der
Themenführer in unserer Welt der
Medien
selbstverständlich medialisiert worden.
Sensationen und Skandale werden gesucht
und gefunden, die komplexen und anfälli-
gen Strukturen in Krankenhäusern werden
nach außen gekehrt und emotionalisieren
die Menschen und Mitarbeiter.
All die aufgezählten Entwicklungen der
letzten 25 Jahre sind auch am Krankenhaus
Lienz nicht vorübergegangen. Dies vor allem
deshalb, weil man sich bemüht hat, durch zu-
nehmende Spezialisierung den Standortnach-
teil für die Bevölkerung zu vermeiden.
Eines ist jedenfalls in den letzten 25 Jah-
ren festzustellen: Die Materie in den Kran-
kenhäusern ist komplexer und insgesamt
schwieriger geworden. Die Atmosphäre
wurde professioneller und ernster, der
Fort- und Ausbildungsaufwand immer um-
fangreicher, das soziale Umfeld komple-
xer, die Belastungen, die auf jedem einzel-
nen ruhen, verstärkt. Dennoch arbeiten in
diesem Krankenhaus sehr viel extrem mo-
tivierte und gewissenhaft agierende Mitar-
beiter, die sich der Verantwortung unserer
Zeit stellen. Die Gelegenheit, mich bei all
den Mitarbeitern zu bedanken, die die
zweifellos schwieriger werdenden Bedin-
gungen ausgezeichnet meistern, ist mir ein
besonderes Anliegen zum 75-jährigen Ge-
burtstag des Krankenhauses.
OSTTIROLER
NUMMER 9/2006
15
HEIMATBLÄTTER
Peter Lechleitner
25 Jahre Medizingeschichte 1981 – 2006
Die
interne
Inten-
sivsta-
tion am
Bezirks-
kran-
kenhaus
Lienz.
Foto:
Josef
Aßmayr
Das in der Nuklearmedizin neu installierte
Kombinationsgerät „Immissions-Compu-
ter-Tomographiegerät mit Spect-Kamera“
ist das Erste und Modernste seiner Art in
Österreich.
Foto: Dr. Gerhard Egger