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NUMMER 8/2007
75. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Über das Leben des Malers Simon von
Taisten ist so gut wie gar nichts bekannt.
Das einzigartige Zeugnis der Fresken von
Obermauern hat jedoch auch das Interesse
an der Person ihres Urhebers beflügelt und
dieser neben allerlei Wesenszügen sogar
eine Liebschaft mit dem „Burgfräulein von
Rabenstein“ angedichtet, dessen Antlitz
Josef Weingartners Roman im Laute spie-
lenden Engel der Marienkrönung tradiert
sieht.
1
Man kann die Belletristik hier ruhig
Belletristik sein lassen. Ihre Einschätzung
des Obermaurer Marientodes (Abb. 1)
aber gibt auch dem Kunstliebhaber zu den-
ken, zumal sie der Autor Simon selbst in
den Mund legt:
„Das untere Bild, der Tod Mariens, war
nun fertig und Meister Simon sah sein
Werk prüfend an. Er war damit nicht ganz
zufrieden. Die Falten der Bettdecke wirk-
ten viel zu steif, und die Köpfe der Apostel,
die das Bett der Sterbenden umstanden
und das Totenoffizium sangen, erschienen
ihm viel zuwenig lebendig. Auch der Stif-
ter, der in kleiner Figur neben dem Bette
kniete, war zuwenig ähnlich ausgefallen.“
2
Vermutlich war Weingartner nicht so naiv,
die Betrachtungen für authentisch zu halten.
Er fällte in ihrer Verkleidung vielmehr sein
eigenes Urteil über Simon von Taisten. Die-
ses ist aber durch einen neuzeitlichen
Kanon geprägt, dessen Ansprüche erstmals
in der italienischen Renaissance formuliert
wurden.
3
Insofern lässt sich zweifeln, ob der
Mangel an Ähnlichkeit (
similitudine
) und
Lebendigkeit (
vivacità
) reichte, um ein Ge-
mälde vom Standpunkt des Künstlers der
alpenländischen Spätgotik zu kritisieren.
Für ihn war nicht das Naturvorbild, sondern
die Kunst seines Meisters Maßstab und Ge-
genstand der Imitation.
„Ja, ja, hinter sei-
nem Meister blieb er freilich weit zurück.“
4
Gemeint ist Michael Pacher. Seine
Malerei ist tatsächlich in Italien geschult,
Simons Ausbildung in Pachers Brunecker
Werkstatt hingegen reine Spekulation.
Während Michael Pacher die Ableitung
von einem internationalen Stammbaum,
dessen Ahnen nicht einmal alle erforscht
sind, gebietet, wird also hier die Ableitung
Simons von Michael Pacher probiert. Dem
prominent repräsentiert. Dort drängen sich
die Personen in einem Kastengehäuse von
geringer Raumtiefe, um das nach links an-
steigende Totenbett. Christus, der die Seele
seiner Mutter in kindlicher und bereits ge-
krönter Gestalt auf dem Arm hält, führt
eine Phalanx nach links orientierter Apos-
tel an, einzig jener, der von hinten den
Kopf der Sterbenden stützt, ist in die ent-
gegen gesetzte Richtung gewandt. Über
das Bett beugt sich Johannes, so dass sich
in der Gruppe um Christus ein dramatur-
gisch bedeutungsvolles Gespräch zu ent-
spinnen scheint, das ein zeitgenössischer
Text in folgender Weise beschreibt:
„Do
nu die heiligen zwelfpoten das lob der
himelkunigen heten außgesprochen ir yet-
licher nach seinem vermugen, do ward
recht ir sel erhaben in grosser sussigkeit;
wan in dem lob sach sie sten iren liben sun
Ihesum Cristum mitten unter den iungern,
und redt muntlich mit yn, alß er mit yn redt,
die weil er hie auf erden pey in wonet …“
5
Michael Pacher lässt um 1465 in seiner
gleichnamigen Komposition am Lauren-
tius-Altar das Totenbett horizontal das Bild-
feld durchmessen, wobei der Kopf Mariae,
durch ein Kissen erhöht nur noch schwach
an die Raumschräge des älteren Beispiels
erinnernd, nun rechts gelagert und daher
auch die dramatische Gruppe in diesem
Bildabschnitt inszeniert ist (Abb. 3). Die
maßstabs- und zahlenmäßige Verringerung
gibt den stehenden Figuren mehr Raum,
Köpfe und Körper kommen zum Vorschein
und werden im Unterschied zu St. Sigmund
individuell in Bewegung und Mimik an der
gemeinsamen Handlung beteiligt. Das gilt
mutatis mutandis auch für die Kauernden
bzw. Knienden im unteren Register: Die
„am stärksten genremäßig empfundenen
Figuren“
6
des Meisters von St. Sigmund
rücken zusammen und lesen im selben
Buch, eine dritte kehrt dem Betrachter den
Rücken und wendet sich betend der Ster-
benden zu. Sie erzeugt aufgrund der nach
wie vor seichten Bühne noch nicht jenen
Raumstoß, wie sie es in St. Wolfgang tun
wird, problematisiert aber erstmals im
Oeuvre Pachers das Verhältnis des Sterbe-
lagers zum Tiefenraum.
schließen wir uns im Folgenden an und
werden auch eine Bestimmung von
Simons originärer Leistung versuchen, die
Weingartner ebenfalls liefert:
„Auf eines
aber tat sich Simon etwas zugute. Die
ganze Szene spielte nicht wie sonst in einer
engen, dumpfen Kammer, sondern im
Freien, mitten auf der Straße, und über
den Häusern, von denen sie eingefasst
wurde, schwebte der Heiland in der Luft
und schloß seine von Engeln emporgetra-
gene Mutter in die Arme.“
Ikonografisch ist die Idee, das Hinschei-
den der Gottesmutter vor einer Stadt
kulisse in Szene zu setzen, nicht neu. Sie
begegnet bereits im ausgehenden 14. Jahr-
hundert in den Wandmalereien der Pfarr-
kirche von Terlan. Das übliche Ambiente
der
„engen, dumpfen Kammer“
aber ist
mit dem Marientod am linken Flügel des
Altars von St. Sigmund (um 1430; Abb. 2)
Abb. 1: Simon von Taisten, Marientod,
1485, Obermauern, Maria Schnee.
Foto: Christof Gaggl
Rudolf Ingruber
„Auf in das ewig leben …“
Die Interpretation des Marientodes durch Simon von Taisten