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OSTTIROLER
NUMMER 2-3/2008
4
HEIMATBLÄTTER
Allgemeines
Wenn von Orchideen (Orchidaceae) die
Rede ist, denken die meisten Menschen an
bizarre exotische Zimmerpflanzen, deren
dauerhafte Kultur als schwierig gilt. Tat-
sächlich hat sich das Angebot an Topfor-
chideen für die Zimmerkultur in den letz-
ten Jahren stark vergrößert, in allen Gärt-
nereien, sogar in Supermärkten oder
Baumärkten kann man eine kleine oder
größere Auswahl davon finden. Dass es
auch in unseren heimischen Wäldern und
auf naturbelassenen Bergwiesen eine An-
zahl von wild wachsenden Orchideen gibt,
ist nur wenigen Naturliebhabern bekannt.
Die größte Artenvielfalt findet sich in den
tropischen Regen- und Nebelwäldern in der
Nähe des Äquators, bis heute sind weltweit
etwa 35.000 Naturarten und weitere
100.000 gärtnerische Kreuzungen bekannt.
Die Standorte der Orchideen erstrecken
sich von Meereshöhe bis gegen 4.000 m in
den tropischen Gebirgen Südamerikas,
Afrikas und Asiens. Während die Arten der
feuchten Tropenwälder fast ausschließlich
epiphytisch und lithophytisch (als Aufsit-
zerpflanzen auf Baumstämmen, Ästen
oder Felsen) wachsen, gibt es in den gemä-
ßigten Klimabereichen wie in Nordamerika
oder Europa nur terrestrisch (am Boden)
wachsende Orchideen.
Europaweit sind 220 Arten bekannt, von
denen die meisten in den mediterranen
Ländern Griechenland, Italien und Spanien
vorkommen. Artenreiche Vorkommen gibt
es auch in den Alpen, wo manche Pflänz-
chen noch in Höhen von über 2.500 m ihr
Auslangen finden.
In Österreich finden wir etwa 70 Arten,
und in Osttirol schließlich konnten bisher
38 Arten verzeichnet werden, eine davon
gilt als ausgestorben.
Die Arten
Die bekannteste aller heimischen Orchi-
deen ist der Frauenschuh
(Cypripedium cal-
ceolus)
, der besonders in den Lienzer Dolo-
miten punktuell verbreitet ist. Leider ist all-
jährlich zu beobachten, dass diese streng
geschützte Blume (Tiroler Naturschutzver-
ordnung, EU-FFH-Richtlinien, Anhang II)
nach wie vor durch übermäßiges Pflücken
und Ausgraben dezimiert wird.
Eine große Seltenheit, ebenfalls in den
Lienzer Dolomiten sehr einzeln vorkom-
mend, ist die Fliegen-Ragwurz
(Ophrys in-
sectifera)
als einzige Vertreterin ihrer Gat-
tung. Sie wächst, wie auch das Netzblatt
(Goodyera repens)
, auf trockenem Kalk-
boden, meist im lichten Schatten der Föhren-
wälder. Weitere Arten dieses Lebensraumes
sind die Braunrote Stendelwurz
(Epipactis
atrorubens)
, Breitblatt-Stendelwurz
(E. hel-
leborine)
und Sumpf-Stendelwurz
(E. pa-
lustris)
. Letztere kommt normalerweise auf
feuchten Wiesen vor, gedeiht jedoch
manchmal auch in trockenen Föhrenwäl-
dern. Die Gattung Knabenkraut
(Orchis)
ist
mit vier Arten vertreten: Stattliches Knaben-
kraut
(Orchis mascula)
, Helm-Knabenkraut
(Orchis militaris)
, Kleines Knabenkraut
(Orchis morio)
, Brand-Knabenkraut
(Orchis
ustulata)
. Fünf Arten finden wir in Osttirol
als Vertreter der Gattung Fingerknabenkraut
(Dactylorhiza)
: Holunder-Fingerknaben-
kraut
(Dactylorhiza sambucina)
, welches
sowohl mit roter, als auch mit gelber Blü-
tenfarbe auftreten kann, das häufige Fle-
cken-Fingerknabenkraut
(D. maculata ssp.
fuchsii)
, weiters Breitblatt-Fingerknaben-
kraut
(D. majalis)
und Fleischfarben-Fin-
gerknabenkraut
(D. incarnata)
, die beide
auf feuchten Wiesen und Hängemooren
wachsen. Als große Rarität ist das Blutrote
Fingerknabenkraut
(D. cruenta)
anzuführen,
welches nur noch in zwei kleinräumigen
Feuchtwiesen bei Matrei vorkommt und
einen der letzten Bestände in Österreich
darstellt. Diese isolierten Standorte sind
extrem gefährdet (Austrocknung, Viehtritt).
Die drei Arten der Gattung Waldvöglein
(Cephalanthera)
kommen in Wäldern vor,
das Rote Waldvöglein
(Cephalanthera
rubra)
in trockenen Mischwäldern, das
Cremeweiße Waldvöglein
(C. damaso-
nium)
in schattigen Buchenwäldern, das sel-
tene Schwertblatt-Waldvöglein
(C. longifo-
lia)
nur an einem eng begrenzten Standort
östlich von Nörsach. Denselben warm-tro-
ckenen Felsenhang im westlichen Bereich
der „Tröger Wand“, nahe Nörsach besiedeln
außerdem einige wenige Exemplare des
Violetten Dingels
(Limodorum abortivum)
,
diese Pflanze kann als seltenste Orchidee
Osttirols bezeichnet werden. Kugelstendel
(Traunsteinera globosa)
, Höswurz
(Pseud-
orchis albida)
, Mücken-Händelwurz
(Gym-
nadenia conopsea)
und Duft-Händelwurz
(G. odoratissima)
kommen meist häufig auf
blumenreichen Berg- und Almwiesen vor,
ebenso wie die Weiße Waldhyazinthe
(Pla-
tanthera bifolia)
, die durch ihren intensiven
Duft auffällt. Nur in wenigen Nachweisen
ist die Grünliche Waldhyazinthe
(Platan-
thera chlorantha)
aus Osttirol bekannt. Die
Korallenwurz
(Corallorhiza trifida)
und die
Hohlzunge
(Coeloglossum viride)
bewoh-
nen Bergwälder, während der kaum 10 cm
hohe Zwergstendel
(Chamorchis alpina)
bis
in Höhen von über 2.500 m vordringt. Be-
vorzugt in Mischwäldern wächst das Große
Zweiblatt
(Listera ovata)
, während das zarte
Berg-Zweiblatt
(Listera cordata)
fast aus-
schließlich in der subalpinen Fichtenwald-
zone zu finden ist. Beide fallen durch ihre
unscheinbaren grünlichen Blüten kaum auf.
Weit augenfälliger sind da schon die blei-
chen, bräunlichen Stängel und Blüten der
Nestwurz
(Neottia nidus-avis)
, die selbst
kein Chlorophyll produziert und daher als
Saprophyt aus verrottendem Material des
Waldbodens ihre Nahrung bezieht. Eine
ähnliche Lebensweise hat der seltene Wi-
derbart
(Epipogium aphyllum)
, der in
schattigen, feuchten Buchenwäldern vor-
kommt und bisher nur von drei Standorten
in wenigen Exemplaren bekannt wurde. Die
Einknolle
(Herminium monorchis)
und das
Einblatt
(Malaxis monophyllos)
sind eben-
falls Seltenheiten, die aufgrund ihrer un-
scheinbaren, kleinen grünen Blütenrispen
wenig auffallen und wohl auch häufig über-
sehen werden. Eine der bekanntesten Al-
penblumen, das dunkelrote, betörend rie-
chende Blutströpfchen oder Schwarz-Kohl-
röschen
(Nigritella rhellicani)
und das nahe
verwandte, hellrot gefärbte Rote Kohlrös-
chen
(Nigritella miniata)
gehören ebenfalls
in die Familie der Orchideen. Die Gattung
Nigritella
wurde in letzter Zeit in etliche
Unterarten aufgegliedert.
Standorte in Osttirol
Wertvolle Orchideenstandorte sind tro-
ckene Föhrenwälder der Lienzer Dolomi-
ten, besonders jener im Lavanter Forchach,
der allein 14 verschiedene Arten beher-
bergt, weiters die unwegsamen Felsenab-
hänge östlich von Nörsach (Tröger Wand),
sonnseitige, felsige Trockenhänge des
Isel- und Virgentales, feuchte Bergwiesen
in der Umgebung von Matrei (Hinteregg,
Stein) und blumenreiche subalpine und al-
pine Bergmähder und Almweiden, beson-
ders im Gebiet des Großglockners, Groß-
venedigers und der Lienzer Dolomiten. Die
meisten Orchideenarten bevorzugen Kalk-
böden, es gibt aber auch solche, die auf
neutralen oder sauren Böden gedeihen.
Helmut Deutsch
Osttirols Wildorchideen
Fliegen-Ragwurz, Lienzer Dolomiten,
Lavant.
Alle Fotos: H. Deutsch