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NUMMER 4-5/2008
76. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Robert Büchner
Öl für das Ewige Licht – Zu einer
Spende aus dem Jahr 1308
Thurn, St. Nikolaus
und eine Urkunde
aus dem Jahr 1308
Ersterwähnungen von Orten oder
Gotteshäusern sind durchwegs rein zu-
fällig überliefert und sagen natürlich
nichts über die wahre Datierung der
Gründung aus, die meistens viel weiter
zurück liegt. Eine in Latein abgefasste
Urkunde, datiert mit 28. April 1308, er-
halten im Pfarrarchiv von St. Andrä in
Lienz, zählt eine Reihe von Gotteshäu-
sern in der Lienzer Gegend auf, wobei
es sich zum großen Teil um Ersterwäh-
nungen handelt. Dieses Schriftstück, von
größter Bedeutung für die Geschichte
von Lienz und Umgebung, wurde – auch
in den Osttiroler Heimatblättern – schon
vielfach zitiert, ohne dass auf den ge-
nauen Inhalt eingegangen worden ist.
Herr Univ.-Prof. Dr. Robert Büchner,
schon einige Male in den Heimatblättern
als Autor hervorgetreten, konnte gewon-
nen werden, diese für unseren Raum so
wichtige Urkunde präzise zu transkribie-
ren, zu übersetzen und zu kommentieren,
wofür ihm großer Dank gebührt.
Unmittelbarer Anlass war die Initia-
tive der Gemeinde Thurn unter Bürger-
meister Ing. Reinhold Kollnig, die Erst-
nennung der Kirche St. Nikolaus vor
700 Jahren zum Anlass von Feierlich-
keiten zu nehmen, die das Zusammenge-
hörigkeitsbewusstsein der Einwohner
und zugleich das heimatkundliche Wis-
sen um Thurn mit äußerst interessanten
Einzelheiten seiner Geschichte fördern
und vertiefen helfen. Für diese Initiative
ist der Gemeinde Thurn und ihrem Bür-
germeister herzlich zu gratulieren und
für das „Festjahr“ 1308–2008 alles
Gute zu wünschen!
Meinrad Pizzinini
Schriftleitung
Blick auf den Ortskern von Thurn mit der erstmals im Jahr 1308 urkundlich erwähnten
Kirche St. Nikolaus, eine bereits historische Aufnahme aus dem Jahr 1974.
Foto: Peter Sölder
Der Mensch ist nun einmal ein schwaches
Wesen, das zu Sünden neigt, die nach christ-
licher Lehre im Jenseits gebüßt werden müs-
sen. Jeder tut gut daran, im Diesseits vorzu-
sorgen, damit er dereinst einen gnädigen
Gott findet, wenn er vor seinem Richterstuhl
steht. Gute Taten auf Erden schienen den
mittelalterlichen Gläubigen ein probates
Mittel zu sein, ihrer Seele die Hölle zu er-
sparen, dagegen den Himmel, zumindest das
Fegefeuer zu sichern, wenn die bösen gegen
die guten Werke aufgewogen werden. Dazu
zählten Stiftungen zu frommen Zwecken,
von denen man reichlich Gebrauch machte,
nicht nur aus Berechnung, sondern auch aus
tiefer religiöser Überzeugung. So auch Frau
Maria Riemstecher im Jahre 1308.
Geht man von ihrem Beinamen als Beruf
aus, dann hatten sie und ihr verstorbener
Mann allen Grund, über einen klimatisch
angenehmen Aufenthalt in jenseitigen Gefil-
den äußerst beunruhigt zu sein. Ein Rie-
menstecher war beileibe nicht der Vertreter
eines ehrbaren, zünftigen Handwerks, war
kein Riemer (Riemenmacher, -schneider),
der Lederriemen, Gürtel, Zaumzeug und
Modeartikel aus Leder herstellte
1
. Ganz im
Gegenteil, er übte als Fahrender ein höchst
fragwürdiges Gewerbe aus, nämlich das
Riemenstechen. Es war seinerzeit auf Jahr-
märkten und Kirchweihfesten, aber auch
unter den Soldaten ein beliebtes Glücksspiel
mit einem zusammengerollten Riemen.
Man mochte hineinstechen, wie man wollte,
der Riemenstecher brachte es mit geschwin-
dem Griff dahin, dass der Stich des Spielers
immer daneben ging und er verloren hatte
2
.
Kein Wunder, dass das Spiel meist untersagt
war und die Riemenstecher mit den Glücks-
topfspielern (Losverkäufern), Drehschei-
bern (Veranstaltern einer Art Roulette),
Taschenspielern, Gauklern, Vagabunden