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OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2008
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HEIMATBLÄTTER
bekommen habe, ist sicherlich auf ein
solches Predigtexempel zurück zu führen.
Perchtenbräuche im 19. Jh.
Für Nußdorf (1737), Virgen (1753),
Leisach (1794) und Kals (1804) gibt es
weitere Hinweise auf Perchtenbräuche.
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Die meisten dieser Urkunden sind Verbote
und Gerichtsakten – bis zur Mitte des 19.
Jh. fast die einzigen Quellen zu Masken-
bräuchen. Die oft nur kurzen Hinweise
zeigen beispielsweise, in welchen Orten
solche Bräuche zu sehen waren und geben
aber über manches Detail Auskunft: 1753
untersagte der Virger Pfleger Schranzhofer
das nächtliche Jauchzen und Perchten-
laufen, 1804 wurde in Kals ein ähnliches
Verbot erlassen.
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Erst ab der Mitte des 19.
Jh. entfachten die Strahlen der Romantik
eine lodernde Begeisterung für das bislang
verschmähte Tun der Bevölkerung. Diese
Wissbegierde aber war u. a. von der Idee
geleitet, dass in den alpinen Regionen
Natur und Kultur eine harmonische Ein-
heit bilden würden und dass ebendort
Reste einer früheren, meist heidnisch ge-
dachten Bevölkerung erhalten hätten. So
glaubte man auch in Frau Percht eine „alt-
heidnische Göttin“ zu erkennen, die durch
Masken angebetet werden würde. Doch
bereits 1910 erklärte die ebenso akribisch
arbeitende wie engagierte Volkskundlerin
Marie Andree-Eysen, dass dies nicht mit
den historischen Tatsachen übereinstim-
men könne und zweifelte sogar daran, ob
es zwischen der „alten mythischen
Berchta“ und den maskentragenden Perch-
ten überhaupt unmittelbarere Zusammen-
hänge gäbe.
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Trotz dieser befangenen Sichtweise
offenbaren die im 19. Jh. entstandenen
Berichte einen sehr lohnenden Einblick in
das Brauchgeschehen des 19. Jh. Überaus
interessant ist beispielsweise ein Brief des
Probstes von Innichen im Jahr 1834 über
die Ausübung des Brauchs in Sillian:
50 Burschen aus Assling und Umgebung
kamen in, wie es heißt, „Weiberkostümen“
und gaben ein „Percht-Spiel“ – eine thea-
terhafte Aufführung, welches dem Geistli-
chen aber nicht sonderlich gefiel. Ähnliche
Spiele seien, so meldet der Brief weiter, in
Lienz und vermutlich auch in Matrei aus-
geübt worden.
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Bemerkenswert ist der
Hinweis – und er bleibt nicht der einzige –
auf Frauenkleider. Diese Art der Verklei-
dung bildete einst einen wichtigen Teil vie-
ler Maskenbräuche. Viele archivalische
Belege weisen darauf hin, dass im 17. und
18. Jh. auch Frauen als Teilnehmer und
Träger von Maskenbräuchen auftraten.
Doch sind sie bereits im 19. Jh. nur mehr
vereinzelt festzustellen. Dies dürfte im Zu-
sammenhang mit der kirchlichen Verord-
nung der strikten Geschlechtertrennung im
öffentlichen Raum stehen. Seit etwa dem
17. Jh. war es beispielsweise üblich, dass
Frauen in der Kirche links, die Männer
rechts zu sitzen haben. Dieser restriktiven
Verordnung wurde man bei Umzugsbräu-
chen offenbar dadurch gerecht, dass man
Frauen als aktive Träger ausschloss, sodass
diese zu einer meist männlichen Domäne
wurden.
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1838 beschreibt der in Lienz geborene
und später zum Abgeordneten der deut-
schen Nationalversammlung in Frankfurt
gewählte Pater Beda Weber das Perchten-
springen in seiner Kindheit. „Die rüstigen
Jünglinge“, so meldet er, „vermummen
sich in wilde Männer, Larven ums Gesicht,
eine große Schellenspitzhaube auf dem
Kopfe und den Rollen und Glöcklein rings
umhangen, gewaltige Thrysusstäbe in der
Hand, einer mit der Zither, wie der Sänger
Apollo als Rinderhirt in Thessalien.“ –
Man erkennt hier, das sei nebenbei be-
merkt, die vorhin angesprochene mytholo-
gische Biegung des Brauchs durch den Ge-
lehrten. Beda Weber schrieb weiter: „So
stürmen sie in wilder Lust Haus ein, Haus
aus. Überall wird getanzt, überall getrun-
ken, überall die Zuseher geneckt und arger
Unfug geübt, oft auch der oder die Ver-
hasste in den Brunnen getaucht. Aus den
Dörfern geht es in die Stadt, das wilde rau-
schende Volk bringt alle Städter auf die
Beine; aber nur bis zum Abendgeläute
dauert die wilde Fahrt. Die neuere Zeit hat
diese Volksbelustigung aus polizeilichen
Gründen ganz eingestellt. Nur verstohlen,
en miniature, wird es bisweilen im engeren
Kreise noch versucht.“
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Beda Weber
bringt die erste ausführliche Beschreibung
eines Osttiroler Perchtenbrauchs. Seine
Ausführungen erinnern zwar an den Be-
richt der Jesuitenmissionare, gehen aber
noch darüber hinaus. Bemerkenswert ist
etwa Webers Hinweis auf den mitgenom-
menen Stab, den Knechte und Hirten bei
ihrer Arbeit in alpinem Gelände zur Fort-
bewegung oder als Abstiegshilfe benötig-
ten. Tatsächlich brauchten die vermumm-
ten Perchten den Sporenstab in Virgen, um
über den Dorfbrunnen springen zu kön-
nen.
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Wie dies ausgesehen haben mag,
zeigt eine Darstellung aus Salzburg.
Figurenvielfalt
Als 1925 in den Osttiroler Heimatblät-
tern ein Bericht des Geistlichen Hermann
Mang über das Perchtenspringen in Ost-
tirol erschien, war der Brauch bereits fast
vollständig ausgestorben. Nur noch verein-
zelt kamen etwa in Bichl bei Matrei
Vermummte in weißen Kleidern, um Brot
zu heischen. Bei den eigenwillig „Piuu,
Piuu“ schreienden Gestalten, könnte es
sich sogar um verkleidete Frauen gehan-
delt haben.
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Hermann Mang stützte sich
bei seinem Bericht auf die in einem Spital
in Brixen lebende Josefa Gritzer. Sie war
in Oberdrum geboren und berichtete aus
ihrer Erinnerung vom Perchtenspringen
das sie etwa 1865 beobachtet hatte.
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Folgt
man Mang wird die einstige Figurenviel-
falt deutlich. In Oberdrum traten auf: (...)
„Eine schöne Bercht, welche so aufspringt!“ Abbildung eines Originals im Museum
Carolino Augusteum, Salzburg, Ende 18. Jh.