Seite 3 - H_2008_11-12

Basic HTML-Version

OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2008
3
HEIMATBLÄTTER
Frau Percht war, wie freilich alle Sagen-
gestalten, für die einstige Bevölkerung ein
Teil ihrer Wirklichkeit. Dies wird insbe-
sondere durch ihre sozialgeschichtliche
Rolle spürbar. Als Spinnstubenfrau über-
wachte sie beispielsweise die Arbeit der
Mägde. Insbesondere zu Weihnachten
musste das Flachswerg abgesponnen, das
Garn abgewunden und das Geschirr gesäu-
bert sein. Zahlreiche Erzählungen berich-
ten, wie hart säumige Mägde bestraft wur-
den. Ein Relikt dieser Vorstellung hat sich
in Osttirol bis in die Gegenwart gehalten:
In manchen Haushalten gilt es nach wie
vor als unangebracht, über die Weihnachts-
feiertage Wäsche hängen zu haben – dieses
Tun wird freilich längst nicht mehr
mit Frau Percht in Verbindung gebracht.
Gerade für die bäuerlichen und unter-
bäuerlichen Bevölkerungsschichten hatte
sie eine besondere Bedeutung, schließlich
gingen solche terminlichen Gebote stets
mit dem verpflichtenden Einhalten der
Arbeitsruhe einher. Penibel kontrollierte
Frau Percht den arbeitsfreien Abend und
den Sonntag. Erst später übernahm auch
die hl. Notburga diese Funktion, denn das
Sichelwunder wird unter diesem Aspekt
verständlich. Aufs Ganze gesehen haben
die Erzählungen von der Frau Percht jene
Denkweise konserviert, welche vor der
Entfaltung von Aufklärung und Romantik
die alte Kultur Tirols geprägt haben. Be-
sonders deutlich wird dies in einem zu-
meist leichtfertig übergangenen, nichts
desto weniger überaus zentralen Aspekt.
Während die Moderne nämlich durch eine
absolut positive Beurteilung der Neugierde
beseelt ist, galt Fürwitz und Wissbegierde
lange Zeit als schändlich und abwertend.
Eine Sage aus Matrei verarbeitet ein im
ganzen Alpenraum bekanntes Erzählmotiv,
durch welche ein Neugieriger bestraft
wird: „Am Dreikönigstage zieht die
Berchta umher. Einst hörte ein Mann sie
mit großem Lärm an seinem Hause vorbei-
fahren. Da sah er zum Fenster hinaus und
Berchta sagte: „Da muss ich‘s Balkele
zuthun.“ Sie schloß den Fensterladen und
der Mann war blind. Nach einem Jahr
stand der Mann am Dreikönigsabend
wieder am Fenster. Da zog Berchta vorbei
und sagte: „Fearten (im vorigen Jahre) hab
ich da ein Balkele zugethan, das muss ich
jetzt wieder aufmachen“, und der Mann
sah wieder!“
6
Das Aussehen von Frau
Percht, ebenso ambivalent, wie ihr Wesen,
wird folgend beschrieben: Sie ist ein „ural-
tes Mütterlein, runzelvoll und weißhaarig
und gebeugten Rückens.“ „Uralt“ heißt es
in einer Erzählung, „ist ihr Gewand und
zerschlissen von langem Wandern“
7
, ihre
Haare sind zerrüttet. Sie ist eine lange, tief
verschleierte Frau
8
, hat eine lange
9
oder
eiserne Nase und ist trotz eines langsamen
Ganges sehr schnell.
10
In Virgen glaubte
man zu wissen, Frau Percht sei die Tochter
des Herodes. Sie habe „ihren Vater ange-
stiftet, die unschuldigen Kinder zu töten.
Als Strafe für diesen Frevel muss sie
alljährlich in der Dreikönigsnacht von
elfe bis zwölfe die Welt durchwandern“.
11
Älteste Quellen
In Tirol ist Frau Percht durch das 1411
entstandene Werk Pluemen der Tugend
von Hans Vintler erstmals greifbar. Schrift-
liche Hinweise auf Perchtenläufe finden
sich jedoch erst im späten 16. Jh. In Die-
ßen am Ammersee belohnte der Markt
1582 jene, die die Percht gejagt hatten, mit
einem Trinkgeld. Wir wissen heute nicht,
wie dieser Brauch abgelaufen ist, spätere
Belege zeigen aber, dass die Bräuche
damals auf jeden Fall kein einheitliches
Erscheinungsbild hatten. Denn das in
den Urkunden zu lesende „perchtelweis
gehen“ wurde (ähnlich wie „mumme-
reien“) als Überbegriff für verschiedenste
Bräuche verwendet. Die unterschiedlichen
Termine historisch belegter Perchten-
bräuche von November bis Sebastiani und
Pauli Bekehrung
12
(20. bzw. 25. Jänner)
sind hierfür Indiz. Der erste Beleg aus
Osttirol führt zurück in das ausgehende
17. Jh. Am „13. January“ 1668 wurde dem
Lienzer Landgericht eine Rauferei gemel-
det. Der Gerichtsschreiber notierte: „Mit
Veit Eder vnnd seinen mit gespan verfiegt,
wegen Irer Perchtl weiß an den Peter Ack-
herer in veriebten ungebir sich in negsten
14 tagen zu vergleichen.“
13
Der Rädelsfüh-
rer Veit Eder, der mit seinen „gespan“ ,
also seinen Freuden und Begleitern, Peter
Ackerer verprügelt hatte, war offenbar
nicht sehr einsichtig, denn am „18. Fe-
bruary“ mahnte das Gericht, dass „Veit
Eder und seinem mit gspan sich mit Peter
ackherer der angethanen Straich inner 3
tagen der gebier nach zuver gleichen“
14
habe. Die Quellen, obwohl kurz gehalten,
geben Aufschluss über mehrere Details:
Der Gerichtsschreiber erläutert nicht, was
er mit „Perchtl weiß“ meint, was bedeutet,
dass der Brauch damals bereits seit einiger
Perchtenmaske aus Oberlienz (Eidechse auf Nase), 18. Jh.
(Gemeinde Oberlienz)
Foto: Archiv