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Schweizergasse durch das Dominikanerin-
nenkloster. Die Ruhe der Nonnen, die sich
um 1200 hier niedergelassen hatten, störte
lange Zeit nur der Lärm der vorbeiführen-
den Landstraße. Unser Zeitreisender hat
auch die Möglichkeit, gleich den Fuhrwer-
ken, die Richtung Pustertal unterwegs sind,
vom Oberen Platz aus die Rosengasse hin-
auf zu marschieren. Die heißt damals schon
so in Anspielung auf das Wappenmotiv der
Stadt Lienz, die Rose. Den Ausgang der
Rosengasse bewacht ein viereckiger Turm
(diesem Umstand ist noch heute die Eng-
stelle auf Höhe der Erlach-Apotheke zu ver-
danken) mit Durchlass, die Lienzer bezeich-
neten ihn als Meraner, später auch als Bür-
gertor. Integriert ist dieser Turm in die links
und rechts anschließende Stadtmauer. An
deren südlichen Ende (im östlichen Kreu-
zungsbereich Kreuzgasse und Mühlgasse)
ragt hoch ein mächtiger Wohnturm empor,
genannt Amlacher Turm (nach ihren frühe-
ren Besitzern, dem im späten 14. Jahrhun-
dert ausgestorbenen Adelsgeschlecht der
Amlacher) oder auch Bürgerturm, weil die-
ses Gebäude zu dieser Zeit im Besitz der
Stadt ist. Nach dem Stadtgraben beginnt die
Meranergasse (heute Messinggasse), am
Ende der südlichen Häuserzeile breitet sich
das Messingwerk der Wolkensteiner mit sei-
nen Werk- und Verwaltungsgebäuden aus.
Das hochmittelalterliche Lienz (um den
heutigen Hauptplatz) hatte eine Stadtmauer
geschützt. Der Bau jener Stadtmauer aber,
wie wir sie im frühen 17. Jahrhundert be-
staunen können und welche die Stadtviertel
Oberer Platz, Rosengasse und Mönchsgasse
einbezieht, war – ausgelöst durch die dro-
hende Türkengefahr – in der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts angegangen worden,
wobei sich die Arbeiten über Jahrzehnte
hinzogen und erst im frühen 16. Jahrhundert
abgeschlossen waren.
Der 8. April 1609, der Unglückstag
Das war die Stadt, die im Jahre 1609 das
Unglück aus dem heiteren Himmel traf.
Eine an Erzherzog Maximilian gerichtete
Supplikation oder Bittschrift, gleichsam ein
einziger Hilfeschrei der Stadt Lienz, lässt
den Schrecken ahnen, der die Stadt überfal-
len hatte. Eindringlich schilderte die Bür-
gerschaft der Stadt Lienz ihrem Landes-
herrn das Ereignis: Wir berichten Ihrer
fürstlichen Durchlaucht, dass am letzten
Mittwoch, dem 8. April, zwischen 12 und
1 Uhr nachmittags
“durch ainen gross
endtstanndnen Windt in Christoffen Eben-
pergers, Burger unnd Tuechscherers alhie,
negst vor dem Meraner Statthor gehabten
Behausung ain gehling unnd unversöhne
Feursendtzindung mit solcher Furiä und
Ungestimbe erhöbt, das[s] es alspald und
ehe under der Zuesprung des Volckhs ange-
langt, über die Statmaur hinein in des
Landtrichters Petern Albmayrs zway Be-
hausungen und alsdann von denselbigen
also unverwöhr(licher) und hoch verwun-
derlicher Weise wie die feurigen Pfeil hin-
und widerschiessendt von ainem Haus in
das ander dergestalt khomen, das(s) inner-
halb dreyer Stunden, laider Got und Eur
Fürstlich Duchlaucht seye es in schmerzli-
cher Bekhomernus diemietigist clagt, die
gannze Statt Lienz sambt der Meraner Vor-
stat und darin gestandnen unserer genedi-
OSTTIROLER
NUMMER 3-5/2009
6
HEIMATBLÄTTER
Das Haus an der
Ecke Meranergasse
– Kreuzgasse (heute
Messinggasse Nr. 2),
ehemals dem Tuch-
scherer Christoph
Ebenberger gehö-
rend. Im Kamin des
Hauses brach am 8.
April 1609 in der
Mittagszeit zwischen
12 und 1 Uhr das
Feuer aus, das sich,
begünstigt durch
den herrschenden
Wind, rasch ausbrei-
tete und die Stadt
Lienz in eine Kata-
strophe stürzte.
Das nebenste-
hende „Apotheker-
Stöckl“, in dieser
Form in die Zeit um
1700 zu datieren,
hat einen Vorgän-
gerbau, der auf der
Ansicht der zerstör-
ten Stadt deutlich zu
erkennen ist. Im
Scheitel des Bogens
ist das denkwürdige
Datum „1609/
8. April“ ange-
bracht. Das Stöckl
wird von einem Kru-
zifix mit Corpus
überhöht. (Aufnah-
men vom April
2009)
Fotos: Meinrad
Pizzinini