Seite 7 - H_2011_01-02

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Am 4. März 2010 erlag Raimund Abra-
ham einem Autounfall in Los Angeles. Un-
erwartet, aus sprühender Aktivität heraus,
mit einem medial unüberhörbaren Echo
wurde Raimund aus dem Leben gerissen. Er
starb nach einer vielbeachteten Vorlesung in
der W.M.KECK Lecture Hall am SCI-ARC
in Los Angeles (Titel: „The Profanation of
Solitude“).
Dieser letzte Vortrag mutet an wie ein auf-
rüttelndes Vermächtnis seines Berufsbildes,
für das er zeitlebens gekämpft hat. Der Tod
kam überraschend und ließ keinen Platz für
längeres Leiden oder gar Siechtum. Es war
für ihn ein gnädiges und vielleicht auch be-
neidenswertes Ende. Uns, die wir zurück
bleiben, hat die Nachricht vom Tod erschüt-
tert, regelrecht den Boden unter den Füßen
weggezogen. R. hat vieles in seinem Leben
zu Ende gebracht, manches aber auch unge-
klärt und unausgesprochen hinterlassen
([un]spoken and [un]finished). R. A. ist als
Architekt, insbesondere als Theoretiker und
Lehrer, national und vor allem international
ausgiebig gewürdigt worden.
Ich möchte hier als Freund über R. A.
einige Erinnerungsbilder niederschreiben.
R. A. war nie ein lebendes Denkmal, kein
Star, Gespreiztheit war ihm fremd. Er liebte
die geradlinige Offenheit und die spontanen
Kontakte. R. war eine facettenreiche Per-
sönlichkeit: Er vereinte problemlos gegen-
sätzliche Eigenschaften; er war offen und
verschlossen, war fordernd und nachsichtig,
ehrgeizig und bescheiden, verletzend pola-
risierend und ausgleichend zugleich. Es ge-
lang ihm, solche Gegensätze glaubwürdig
in seiner Person zu vereinen. Er war ein
schwieriger Zeitgenosse, in seiner Jugend
ein sogenannter Troublemaker, in reiferen
Jahren ein beinharter Querdenker, ein Pro-
vokateur, der die Situation ausreizte. Letzt-
lich war ihm – obwohl linkslastig in seiner
intellektuellen Entwicklung – jede extreme
Ideologie suspekt. Modische Typen in sei-
ner Arbeitswelt kamen schlecht weg.
Sein Opus Magnum ist das Kulturforum
in der 52nd Street New York. Unvollendet,
aber ebenso bedeutend ist das Haus der
Musiker in Hombroich geblieben.
So engagiert wie mit seiner Arbeit hat er
sich mit seinen Architekturstudenten aus-
einandergesetzt.
Er hat sie, die an der Cooper Union Uni-
versität ausgesucht wurden, in die berufli-
che Verantwortung geführt. Gemeinsam mit
John Hejduk – dem überragenden Archi-
tekturlehrer und starken Familienmenschen
– hat R. den bei ihm und von ihm Lernen-
den analytisches Denken, gepaart mit For-
schergeist und hoher Arbeitsintensität bei-
gebracht. Die Studenten konnten bei ihm
den praktischen Umgang mit verschiedenen
Materialen (wie z. B. Holz, Beton, Glas,
Stahl etc.) wie Handwerker selbst erlernen.
Bei jeder Planung hat R. versucht, tief in
die Ursprünge der Baukunst vorzudringen.
Er hat den Anspruch der historischen
Exaktheit erhoben. Insofern war er Bewah-
rer von Ursprünglichem, Traditionellem
und Nützlichem. Er war vorsichtig skep-
tisch dem bedingungslosen technischen
Fortschritt gegenüber, hat ihm aber, wenn
sich dieser bewährt hat, den gebührenden
Platz eingeräumt. Er pries die Möglichkeit
der modernen Baukunst, fürchtete aber zu-
gleich deren Missbrauch.
R. hatte eine hohe Achtung vor dem je-
weiligen Baugrund, oft eine Baulücke. Er
hat die Bebauung einer Verletzung der
Natur gleichgesetzt. Genau in diesem Span-
nungsfeld haben wir unsere Gemeinsamkeit
im Beruf diskutiert: In der Chirurgie ist die
Operation (wegen einer entzündlichen
oder tumorösen Erkrankung des Menschen)
eine Läsion des Körpers. Ziel einer Opera-
tion ist die Verbesserung oder Heilung, Ziel
der Architektur ist es, Einklang und Har-
monie mit der vom Menschen geschaffenen
Umgebung oder der Natur in möglichster
Einfachheit herzustellen.
R. liebte das urbane Flair der Städte
Oberitaliens. Er schwärmte anlässlich einer
Vorlesung in Parma – dieser traditionsrei-
chen Universitätsstadt und Stadt der Künst-
ler – vom lustvollen Nebeneinander, von
Kunst, Gastronomie und Geschichte. Essen
gut zuzubereiten bedeutete ihm eine Ver-
pflichtung. Einfache Nahrungsmittel zu
Produkten von hoher Qualität zu verarbei-
ten war ihm ein unbedingtes Anliegen. Ko-
chen und Essen in großer Freundesrunde
waren immer willkommene Gelegenheit,
für mehrere Stunden zusammen zu sein und
möglichst kontroversiell zu diskutieren. Die
Lagunenstadt Venedig mit ihrer einmaligen
Architektur mochte er besonders. Er lebte
sogar für Monate auf der Giudecca (in der
Nähe der Kirchen von Palladio) mit seiner
Familie anlässlich der Biennale und anderer
Projekte für Venedig, um diese Stadt als
„Einheimischer“ zu erleben. Auch in der
Willi Bernard
Erinnerungen an einen Freund
Raimund Abraham und Dr. Willi Bernard,
Hombroich, 2008.
Auf der Kerschbaumer Alm mit Freunden aus Lienz, R. A., Willi, Fritz, Leibl.
OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2011
7
HEIMATBLÄTTER