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nen. Die Zeichnung hatte in seinem Werk
einen mindestens so zentralen Stellenwert
eingenommen wie die tatsächliche Reali-
sierung von Architektur. Inspiriert von Zu-
kunftsromanen und dem Weltraumfieber
des Mondlandungszeitalters entstanden in
den sechziger Jahren Stadtutopien mit be-
zeichnenden Namen:
Mega Bridges, Moon
Crater City, Air Ocean City, Radar City.
Wie riesenhafte Mehrzylindermotoren
steigen hier Städte aus dem Untergrund
auf, in Gestalt von Zylindern, Kugeln und
Röhren erinnern sie an Organisationsmo-
delle für Maschinen oder Industrieanlagen.
Es sind Visionen von künftigen Metro-
polen. Architekturimaginationen nach
einem Neubeginn in karger ausgesetzter
Landschaft, nicht lokalisierbare Orte …
vielleicht auf fremden Planeten.
In
Glacier City
, einer unterirdischen
Stadt, zwischen die Wände eines weiten
Tals eingespannt, werden „
die Röhren, die
das lineare Weiterwachsen der Stadt wie
Arterien in einem kunstvollen Netzwerk
durchdringen, analog zu den Körperfunk-
tionen behandelt und in Szene gesetzt. Es
sind Durchgangsarchitekturen, als Stra-
ßen, als Transportwege, als Kanalisation
erfüllen sie auch in ihrer äußeren Gestal-
tung das Geschäft der Adern, Ganglien
und Nervenstränge. Symbolische Archi-
tektur, in denen Funktion und Erscheinung
zeichenhaft zusammenfallen“
3
. Es sind
Zeichnungen, die wie absurde Gedanken-
spielereien anmuten und dennoch konkrete
Raimund Abraham wurde am 23. Juli
1933 in Lienz geboren. Nach Absolvierung
des Realgymnasiums in Lienz studierte er
von 1952 bis 1958 an der Technischen Uni-
versität in Graz und schloss mit Auszeich-
nung ab. Von 1959 bis 1964 arbeitete er in
Wien als Architekt.
Es entstanden frühe Wohnbauten in
Wien, Oberwart und Salzburg, aber bereits
in diesen ersten Berufsjahren dominierte
die Beschäftigung mit Theorie über der
Praxis des Bauens. Mit seinen Denkkon-
zepten und Publikationen zur „Imaginären
Architektur“, „Visionären Architektur“
und „Elementaren Architektur“ lieferte er
schon früh einen „
Anstoß zur Diskussion
über das Wesen der Architektur und ihrer
Beziehung zur Kultur unserer Zeit“
1
.
Abra-
ham gehörte zu den wichtigsten Vertretern
der Wiener Avantgarde der frühen sechzi-
ger Jahre. Seine Arbeiten wurden bereits
1967 zusammen mit denen von Hans Hol-
lein und Walter Pichler im Museum of
Modern Art in NewYork ausgestellt.
1964 war Abraham aus Österreich ausge-
wandert, seit 1971 lebte und arbeitete er in
NewYork. Zunächst lehrte er an der Rhode
Island School of Design, dann wechselte er
als Architekturlehrer nach New York und
unterrichtete am Pratt Institute und an der
School of the Cooper Union.
Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag wei-
terhin in der Präzisierung künstlerisch-
theoretischer Positionen und seine Archi-
tektur grenzt mitunter an Dichtung: „
Pro-
gramme, die man jetzt für Architektur for-
muliert, müssten also genauso poetisch
sein, wie Architektur poetisch sein müsste.
Ein Gedicht kann ein Programm sein.“
2
Schon bald formte sich sein Markenzei-
chen des „Bauverweigerers“ und Archi-
tekturtheoretikers heraus. Jahrzehntelang
galt sein Hauptinteresse der Architektur-
zeichnung und den temporären Installatio-
NUMMER 1-2/2011
79. JAHRGANG
OSTTIROLER
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Hommage an den Architekten
Raimund Abraham
Es ist immer bedauerlich, wenn erst der Tod einer genialen Per-
sönlichkeit den Anlass gibt, sie jener Gesellschaft vorzustellen,
aus der sie einmal hervorgekommen ist. In der Tiroler Kultur-
zeitschrift „das Fenster“ wurde der gebürtige Lienzer bereits
1980 als „der im Ausland wohl bekannteste Tiroler Architekt“ be-
zeichnet. Mit dem Bau des Österreichischen Kulturinstituts in New
York in den Jahren 1993 bis 1997 wurde Raimund Abraham wohl
zu einem Architekten von Weltrang. Diese Rückschau auf sein
Werk soll zumindest anrisshaft Abrahams Denken über Architek-
tur näherbringen und darüber hinaus den mittlerweile weltbe-
kannten Architekten als einen der Heimatstadt Lienz stets
„Freund“ gebliebenen Menschen in Erinnerung bringen.
Raimund Abraham (1933 – 2010), ein
Architekt mit Visionen.
Andrea Kollnig
Wenn Baukunst zur Dichtung wird